Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
zu bleiben, obwohl sie am liebsten sofort wieder gegangen wäre.

    »Du weißt, ich kann mich nicht jede Nacht davonstehlen.«
    »Wozu solltest du auch?«, kam es sarkastisch zurück. »Ich sitze ja ohnehin hier und bin dazu verdammt, auf dich zu warten.« Er sprang vom Fensterbrett und griff nach einem der Stuhlbeine. Wütend schleuderte er es aus dem Fenster. Der Wind ergriff das Stück Holz sofort und wirbelte es mit solcher Wucht nach oben, dass Summer ihm kaum mit den Augen folgen konnte. »Wie lange soll das noch so weitergehen? Bin ich nur der Narr, mit dem du spielst?«
    »Hör auf!« Jetzt schrie sie auch. »Dasselbe könnte ich dich fragen. Sind deine Küsse nur ein Mittel zum Zweck, damit du hier rauskommst?« Bitte nicht , dachte sie im selben Moment. Sag jetzt nicht das Falsche. Brich mir nicht das Herz .
    Er schluckte schwer und fuhr sich durch die Haare. Dann sah er sie mit dem traurigen Blick eines gefangenen Tieres an. »Es ist, wie es ist«, sagte er heiser. »Hier ist einfach nicht der Ort, an dem zwei Leute einander vertrauen könnten oder sollten. Manchmal vergesse ich das. Tut mir leid.«
    Das war nicht die Antwort, die sie sich erhofft hatte. Aber seine Worte trafen sie noch auf ganz andere Weise. Ich vertraue ihm nicht , dachte sie niedergeschlagen. Obwohl ich es so gerne würde. Wieder lag ihr die Frage auf der Zunge, aber sie schwieg. Sei keine Idiotin , dachte sie. Er wird immer Nein sagen, wenn ich ihn nach Indigo frage. Wenn er es nicht ist. Und wenn er es ist, wird er sich hüten, es zu gestehen. Denn dann wäre ich sein Tod.
    Wäre ich das?, setzte sie hinzu. Könnte ich ihm den Tod bringen? Es war dieselbe Frage, die sie sich hundertmal an jedem Tag stellte. Und hundertmal verneinte.
    Sie senkte den Blick auf seine Hände und die Narben, die er nicht mehr unter Handschuhen verbarg.

    »Du bist kein Narr«, sagte sie verärgert. »Und ich spiele nicht mit dir. So wie du nicht mit mir spielst, habe ich recht?«
    Erleichtert spürte sie, wie das Gewitterknistern sich auflöste. Wortlos griff er nach ihrer Hand und trat zu ihr. Und sein Kuss war Antwort genug.
    »Haben wir uns nur wegen der Küsse geliebt?«, fragte sie. »Wegen der Nächte?«
    Jetzt zuckte um seine Lippen ein amüsiertes Lächeln. Er ist wie Tag und Nacht , dachte sie.
    »Komm«, sagte er. »Ich erzähle dir eine Geschichte!«
    Sie ließ es zu, dass er sie zum Fenster zog. Ohne zu zögern, setzte sie sich ihm gegenüber, so nah am Windwirbel und doch geborgen im breiten Steinrahmen. Von hier aus konnte sie nur das Meer sehen. In dieser Nacht war es klar und weit.
    »Ich war ein Kind, als ich mir die Hände verbrannt habe«, begann er. »Und wegen der Narben sah es so aus, als könnte ich nicht mehr in der Schmiede arbeiten. Mein Vater war ein harter Mann. Er hatte Angst davor, mich als Arbeitskraft zu verlieren. Nur deshalb hörte er auf den Rat eines Arztes. Ich wunderte mich darüber, dass der Arzt nur mit mir sprach, statt meine Hände und die Narbe in meinem Gesicht zu behandeln. Es war das erste Mal, dass jemand mir keine Befehle gab, sondern wirklich wissen wollte, wer ich bin. Er gab meinem Vater den Rat, mir eine Gitarre zu kaufen, weil es die einzige Möglichkeit sei, meine Hände beweglich zu halten. Und er sollte mir freie Stunden geben, um das Fechten zu üben, denn meine Handgelenke müssten kräftig und geschmeidig werden, sonst würde ich in der Schmiede bald nichts mehr leisten können.« Er fächerte seine Hände vor sich auf und betrachtete sie nachdenklich. »So kam ich zur Musik und lernte auf der Gitarre zu spielen. Ich liebte nichts so sehr
wie die Stunden, in denen ich trainierte und spielte. Und dann lernte ich eines Tages eine Frostfee kennen. Ich dachte, wir hätten gar nichts gemeinsam außer unseren Nächten und unserem Streit. Aber als ich ihr auf der Gitarre vorspielte, da begann ihr Gesicht zu leuchten. Wir waren uns ähnlicher, als wir je für möglich gehalten hätten. Und eines Nachts ist sie aufgestanden und hat sich Papier und Feder genommen.« Er grinste, als sei ihm gerade etwas eingefallen. »Ach ja! Das hat mir auch immer an dir gefallen! Dass du dir nie die Mühe gemacht hast, einen Morgenmantel überzuziehen.«
    »Ich war nicht nackt! Ich hatte meinen Flügelmantel. Du konntest ihn nur nicht sehen.«
    »Richtig. Ich vergaß«, sagte er und nickte. »Ein unsichtbarer Mantel ist natürlich etwas ganz anderes. Jedenfalls hast du in jener Nacht angefangen, Worte für neue Lieder

Weitere Kostenlose Bücher