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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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schön, dass es Summer die Kehle zuschnürte. Sie blickte ihm nach, als er sich in die Luft erhob und freute sich über das honigfarbene Zittern, das seine Flügel auf die Schachtwände warfen. Ein zweiter Falter kroch aus der Hülle, und ein dritter. Falter für Falter schlüpfte aus diesem seltsamen Kokon und fand sich zu den anderen. Mit jedem von ihnen füllte sich Summers Herz ein wenig mehr.
    »Ich habe euch wieder!«, flüsterte sie. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich Gewissheit bekomme. Und als der ganze Schwarm dieser Geisterfalter sie einhüllte und die Flügel ihre Wangen streiften, lachte sie und weinte gleichzeitig. Den Mantel hatte sie für immer verloren. Aber ihre Zorya-Falter waren zurückgekehrt.

    Als sie aus der geheimen Kammer trat, war es, als sei sie erst in dieser Sekunde endgültig aus dem Grab erwacht, in dem Indigo sie vor zweihundert Jahren eingeschlossen hatte. Es war nicht mehr die Schuld, die sie ermahnte, Indigo zu suchen, sondern der unbändige Wunsch, ihre Aufgabe zu erfüllen. Und plötzlich war alles ganz einfach und klar.
    Die Schwärmer folgten ihr, als sie zum Tisch ging und die Schlüssel neben die Karten legte. Wie immer war Tellus auf seinem Rundgang und gab vor, nicht zu bemerken, dass seine Schlüssel Verwendung fanden. Aber heute konnte Summer ihm den Gefallen, sich davonzustehlen, nicht tun.

    »Tellus! Ich muss mit dir sprechen!
    Das Schlurfen irgendwo im Rundgang verstummte abrupt. Sie konnte sein Zögern förmlich spüren, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Sein gekränktes Gesicht sprach Bände, als er an der Biegung des Rundgangs auftauchte. Obwohl er nicht lange gelaufen war, war er außer Atem und blass.
    »Was?«, fragte er mürrisch. Dann weiteten sich seine Augen. Er starrte sie an, als würde er sich fragen, ob sie es wirklich war.
    »Was ist denn da oben passiert, Lady Tjamad? Du siehst aus, als hättest du ein paar Glückssterne verschluckt und gleichzeitig einen Jenseitsschrecken bekommen!«
    Summer lächelte. Nahe dran, Tellus. Wie immer. »Ich brauche deine Hilfe. Um eine wichtige Frage zu klären, die mich so beschäftigt, dass ich sicher die nächsten zwei Tage nicht schlafen kann.«
    »Warum du beim Kartenspielen verlierst wie ein Anfänger?«
    »Es hat etwas mit einem Spiel zu tun«, entgegnete sie vorsichtig. »Einem Gedankenspiel. Nehmen wir an, du machst deinen Erkundungsgang. Und du lässt den Essensaufzug herunter und siehst, dass der Gefangene da oben schon zum wiederholten Mal sein Essen nicht angerührt hat. Was wäre dann?«
    Von einem Moment auf den anderen glaubte auch sie, einen anderen Tellus zu sehen. Den Krieger mit den scharfen Augen, der sich niemals täuschen ließ. Seine Stirn furchte sich, und Summer hatte den Eindruck, dass er im Geiste Pläne entwarf und Pfeile einzeichnete und jeden Winkelzug seiner Antwort genau durchdachte. Langsam kam er zum Tisch und hob eine Karte von dem Stapel ab. Er räusperte sich umständlich, so wie immer, wenn er zum Sprechen ansetzte. »Dann … würde ich melden, dass er vermutlich aus dem Fenster gesprungen ist. Lord Joras würde irgendwelche
Soldaten zu mir schicken, die nach oben gehen und die Kammer aufschließen würden. Und sie würden sie leer vorfinden. Wäre nicht der Erste. Es schneit schon, und bald ist es in den Kammern erbärmlich kalt. Vielleicht würde irgendein unglücklicher Fischer eines Tages die Überreste von dem armen Kerl mit einem Netz vom Meeresgrund holen. Aber wahrscheinlich nicht. Denn vermutlich haben ihn dann schon längst die Aale und Krabben gefressen.«
    Summers Herz begann höher zu schlagen. Ihre Geisterfalter umflatterten sie aufgeregt. Aber sie wusste, sie durfte ihn nicht drängen. »Schlimmes Schicksal.«
    Tellus zuckte mit den Schultern. »So ist das Leben. In den Kammern des Vergessens hält es niemand lange aus, ohne verrückt zu werden. Ich meine - verstehen könnte ich ihn gut. Schließlich hat er seit Wochen keine Menschenseele mehr gesehen. Und er hatte keinerlei Hoffnung auf Errettung. Aber Menschen brauchen Hoffnung mehr als alles andere. Ohne sterben sie. Auf diese Weise oder eine andere.« Er sah ihr direkt in die Augen. »Nur darum geht es doch. Die Hoffnung«, wiederholte er. Sie schluckte und erwiderte sein verstecktes Lebewohl mit einem Nicken.
    Er wandte sich ab und hob den Kartenstapel vom Tisch ab. »Ach, es ist schon ein Elend mit dem Alter. Ich werde vergesslich. Hoffentlich fällt mir spätestens übermorgen wieder ein, wo

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