Ascheherz
wahr? Du lässt uns nicht im Stich.«
Da war es wieder. Das unbarmherzige Gewicht auf ihrer Seele. »Ich … muss mich erinnern«, erwiderte sie zögernd.
Beljén konnte die Enttäuschung kaum verbergen. »Warte nicht zu lange«, sagte sie bekümmert.
Summer blickte ihrer Freundin nach, als sie denselben Weg zurückging. Eine flinke, anmutige Gestalt, deren Flügelmantel die Höhle in warmes Licht tauchte. An der Treppe drehte sie sich noch einmal um und winkte Summer zu. »Denke daran, zurückzukehren, bevor die Diener morgens ins Brunnenzimmer kommen!« Das Echo warf ihre Stimme wie einen gespenstischen Doppelgesang zurück. Summer nickte nur. Gerade wollte sie in den Bernsteinraum zurückgehen, als sie stutzte. Ihr Blick fiel auf die Felsschwelle neben der Barke. Nasse winzige Abdrücke von Kinderfüßen. In einer Tropfenspur führten sie direkt zum Wasser. Summer spähte über die Reling, ging über das ganze Deck, doch sie entdeckte niemanden und sah auch keine Bewegung im Wasser. Nachdenklich ließ sie die Gegenstände in ihrer Tasche durch ihre Finger gleiten. Morts Katzenkopf schmiegte sich kühl und glatt in ihre Handfläche. Sie zog ihn hervor und betrachtete das grinsende Gesicht eine Weile. Dann sprang sie von Bord auf den Felsvorsprung und legte das Schmuckstück genau neben die Fußspuren.
Beljén hatte recht gehabt. Die Barke hatte eine Seele. Und sie bewahrte die Erinnerung an alle Zorya in sich, ohne sie preiszugeben. Summer spürte die Gegenwart aller anderen, als sei sie Teil
eines riesigen Schwarms. Geborgen schlief sie so tief, dass kein Traum sie störte.
Als sie wenige Stunden später erwachte und schweren Herzens die Barke verließ, war der Katzenkopf verschwunden. Aber neben frischen Fußspuren lag im Tausch etwas Weißes, Winziges. Summer bückte sich und hob den seltsamen Gegenstand auf. Er passte kaum zwischen ihre Finger und sah auf den ersten Blick aus wie eine Koralle. Aber dann drehte sie ihn dicht vor ihren Augen hin und her und stellte verblüfft fest, dass sie einen Milchzahn in der Hand hielt.
dajee
E s wurde einfacher mit der Barke. Und auch schwerer. Es war, als stünde sie mühsam balancierend auf einem straff gespannten Seil. Die eine Seite führte zu den Zorya, in die verlockende Ichlosigkeit der Gemeinschaft, in der sie geborgen war wie nirgendwo sonst. Auf der anderen Seiten stand Loved. So versuchte sie, in der Mitte das Gleichgewicht zu halten, niedergedrückt von ihrer Schuld und der Sehnsucht, wieder ganz zu den Zorya zu gehören. Und voller Angst um eine Liebe, die sie mit jedem Tag deutlicher fühlte, aber sich nicht einzugestehen wagte.
Sie wählte stets die Nacht für ihre verbotenen Ausflüge. Doch jedes Mal erwartete Tellus sie schon. Und jedes Mal war Loved wach. Sie waren beide immer noch auf der Hut. Das Düstere, das ihn umgab, das Misstrauen wurde nicht weniger und in manchen Stunden stritten sie sich, weil Summer ihn mit Fragen bedrängte.
Jedes Mal verschränkte er die Arme und schüttelte den Kopf. »Dann machen wir doch ein Tauschgeschäft«, schlug er vor. »Sag du mir, was du mit meinem Herzen gemacht hast, dann erzähle ich dir alles, was du wissen willst.«
Und Summer biss sich auf die Lippen und schwieg, ratlos und so verzweifelt, dass sie ihn am liebsten geschlagen hätte.
Aber dennoch gab es dieses andere zwischen ihnen, denn sobald
sie schwiegen und die Vergangenheit erschöpft losließen, gab es nur das Jetzt. Und genug Raum dafür, dass sich ihre Hände fanden und sie einander festhielten, als wären sie beide hoffnungslos verloren und der einzige Halt des anderen.
»Wenn du schon nichts über dich sagst, dann erzähl mir wenigstens von mir«, forderte ihn Summer nach einem dieser mühsamen Kämpfe auf.
Aneinandergelehnt saßen sie an der Wand, auf den Decken, die Summer ihm mitgebracht hatte. Durch das Fenster sahen sie zu, wie der Windwirbel den Regen wie einen flatternden Schleiervorhang in steilen Spiralen nach oben trieb.
Loved seufzte. »Ich sah dich zum ersten Mal in einem Festsaal. Es war tiefer Winter. Und du hattest keine Schuhe an, sondern bist barfuß über den Marmor gelaufen.«
Indigos Fest . Er war dort! Er ist es doch .
» Und wenn ich wüsste, wer er ist, würde ich einen Lord auf die Idee bringen, ihn foltern zu lassen«, erklangen Lady Mars Worte in ihrem Kopf. Angst zitterte in ihr hoch und sie fasste seine Hand fester.
»Ich dachte mir, das Mädchen ist wohl aus dem Süden und muss verrückt sein«, fuhr er
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