Ascheherz
zurück. »Ich … komme gleich hoch. Meine… meine Taschenlampe ist mir runtergefallen.« Dann senkte sie die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Aber die Haie! Und die Gegenströmung. Wie willst du das schaffen?«
»Ich sagte doch schon. Ich komme schon zurecht.«
»Beeil dich!«, rief Halimar.
Summer zuckte zusammen. Jetzt hatte sie keine Wahl mehr. Sie drückte Loved die Taschenlampe in die Hand. »Versteck dich, bis wir fort sind!« Dann drehte sie sich um und wollte davoneilen. Weit kam sie nicht. Er packte ihr Handgelenk und hielt sie zurück. Und dann waren da nur noch Dunkelheit und Loveds Arme und der Duft seiner Haut. Der warme Strom seines Atems streifte ihre Lippen. »Ich will dich ja nicht beleidigen«, raunte er. »Aber von einem richtigen Abschied hast du wirklich keine Ahnung.«
Sie wollte etwas erwidern, aber da küsste er sie schon mit einer wilden Zärtlichkeit, dass sie vergaß zu atmen. »Siehst du?« Sie hörte das Lächeln sogar in seinem Flüstern. » Das ist ein Abschied unter Liebenden!«
Liebende . Sie hatte nicht gewusst, dass ein Wort wie Liebe und Schmerz gleichzeitig sein konnte. Und obwohl sie endlich wieder ganz und gar eine Zorya war, hätte sie sich am liebsten an Loved geklammert, um ihn nie wieder loszulassen.
»Ich bin schon da!«, rief sie Halimar zu und ließ Loved los. Sie machte möglichst viel Krach, während sie die Treppen nach oben eilte. »Ich habe irgendwo dort unten meine Taschenlampe verloren!
Wahrscheinlich hat ein Hai sie gefressen.« Und als sie die Zorya mit dem Mantel aus Mottenflügeln erreichte, lächelte sie, obwohl ihr zum Weinen zumute war, und folgte ihr mit brennendem Herzen, voller Wehmut, den Kuss, der noch in ihr nachhallte, loslassen zu müssen. Genau das ist Leben, dachte sie, während sie ihre Maske wieder aufsetzte. Leid und Liebe, eng umschlungen, wie Geliebte. Genau danach habe ich mich bei jedem Todeskuss gesehnt. Aber warum habe ich dann jetzt plötzlich Angst?
Die Anspannung fiel erst von ihr ab, als sie im Spiegel ihr neues Ich betrachtete. Die kurzen Haare, die Armeekleidung und das blasse Gesicht. »Hallo Blissa«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Und ein wenig war es auch so, als sei Taja aus Beleter zurückgekehrt. Ein letztes Mal bat sie darum, dass Loved unversehrt aus dem Tempel der Haie fliehen konnte, dann ließ sie alles los, was sie vor Lady Mar hätte verraten können, und stand auf. Ihr Schwarm flog voraus, während sie die Maske aufsetzte, die jetzt gespenstisch fehl am Platz wirkte. Dann machte sie sich auf den Weg.
Der achte Turm erschien heute menschenleer. Am unteren Teil, vor dem Haupttor, das Summer noch nie durchschritten hatte, standen die Zorya in einer stummen Versammlung.
Lady Mar winkte sie heran. »Beljén und Anzej werden dich bis zur Militärgrenze am Fluss begleiten. Sie werden dich an einer Stelle absetzen, an der du schnell entdeckt wirst. Der Rest … liegt bei dir.«
Die Sorge der anderen umwallte sie wie ein Luftzug, der nach zu schweren Blüten roch. Das Schweigen, das eingesetzt hatte, ließ Summer wieder einmal doppelt so deutlich empfinden, wie
sehr ihr Mantel ihr fehlte. Ihre Schwärmer umflatterten sie so dicht, als wollten sie sie trösten.
In der Menge entdeckte sie Anzejs Gesicht. Und heute verspürte sie sogar so etwas wie Zuneigung, ein Abglanz ihrer früheren Freundschaft, als sie seine besorgte Miene sah. Alle Befürchtungen eines schlimmen Endes auf dem Schlachtfeld spiegelten sich darin.
»Du kennst unseren Plan«, fuhr die Lady fort. »Indigo wird sich seinem Schicksal nicht freiwillig ergeben. Also gehe kein Risiko ein. Finde ihn. Warte, bis er schläft. Und dann rufe die Sucher.«
Sie hob die Hand und Anzej trat vor. Und mit ihm drei weitere Zorya-Männer. Zwei von ihnen hatten Mäntel aus Libellenflügeln wie Anzej. Nur der vierte war ganz in das Gelbschwarz eines Kardinalfalters gehüllt. »Talid, Kor, Rilaj - und Anzej kennst du ja. Sie werden auf deinen Ruf warten. Aber denke daran, sie sind Söhne des Windes und können nicht schneller bei dir sein, als der Wind brauchen würde, um eine Feder über die Entfernung zu dir zu tragen. Also wähle den Zeitpunkt gut. Und du weißt, sie können dir den Weg zu Indigo freimachen und ihn schwächen, damit du deine Aufgabe erfüllen kannst, aber zurückbringen können sie dich nicht.«
»Ich weiß«, sagte Summer. »Ich werde mich in Sicherheit bringen. Macht euch keine Sorgen, ich finde den Weg zurück schon
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