Ascheherz
Mädchen, kälter und schöner als eine Frostfee. Unbeugsam und herrisch, auch grausam und eifersüchtig, aber mit einer Seele voller Gedichte, die sie erst mit mir entdeckte. Aber heute bin ich Loved. Und neben mir sitzt das Mädchen, das tausend Gesichter hat und Geschichten erzählt, das Musik und Tanz liebt, eine zarte Seele hat, das aufs Tiefste verletzt wurde und dennoch lacht. Ein Mädchen, das mich nicht verrät und das mir vertraut. Und dieses Mädchen liebe ich über alles.«
Es war, als hätte er sie geküsst.
»Und ich liebe den Mann, der mich gestern am liebsten erwürgt hätte.«
Jetzt blitzte ihr Loved einen lachenden Blick zu. Er zog ihre Hand an seine Lippen und küsste ihre Finger.
»Tja, was meinst du? Versuchen wir es miteinander? Der sture, hitzköpfige Nordländer und die Schauspielerin aus Maymara, die ihm so gerne davonläuft?«
Davonlaufen. Ihr Lächeln verschwand. Der Schatten senkte sich auf ihre Seele. Ihre Falter flüchteten so schnell, als hätte ein kalter Wind sie vertrieben. »Ich bin immer noch eine Zorya. Und ich werde nie etwas anderes sein. Ich … lebe von geliehener Zeit. Wir werden immer auf der Flucht sein.«
Loved schien wenig beeindruckt. »Dann leben wir eben nur von Tag zu Tag. Und machen das Beste aus jeder Minute, solange wir können. Kein schlechter Plan, oder?«
Sie dachte darüber nach. Und stellte fest, dass die Frau in Weiß immer noch einen großen Teil ihrer Seele beherrschte. Denn nun griff sie mit aller Leidenschaft und Besitzgier nach dem Leben mit Loved. Es gehört mir! , dachte sie mit grimmiger Entschlossenheit. Das Leben mit ihm. Und eines Tages werde ich vergessen, was ich bin !
Sie wandte sich ihm zu, strich ihm eine Strähne aus der Stirn und fuhr mit dem Zeigefinger die Linie seines Kinns nach.
»Ich warne dich«, sagte sie. »Es könnte etwas Festes mit uns werden. Im schlimmsten Fall wirst du mich eine Ewigkeit nicht mehr los. Ich bin zwar Schauspielerin, aber deswegen noch lange kein Mädchen für nur eine Saison!«
Loved sah sie verblüfft an, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
Es war ungewohnt, nicht länger von der Vergangenheit zu sprechen, sondern nur noch von dem, was gerade war und sein würde.
Sie erwähnten die Vergangenheit auch dann nicht, als Loved von einem Tauschbesuch bei den Tierläufern zurückkam und ein weißes Pferd mit Militärsattel im Schlepptau hatte. Herrenlos war es umhergeirrt. Als es vor Summer scheute, erinnerten sie sich beide an einen anderen Schimmel, der im Schnee davongaloppiert war, aber keiner erwähnte ihn. Loved sattelte das Pferd ab und brachte es in der Turmruine unter. Später am Nachmittag beobachtete Summer von fern, wie das robuste Tier den Schnee beiseitescharrte, um an das Gras darunter zu gelangen.
Vielleicht war es der Anblick des Militärpferdes, der sie wieder an die Zorya erinnerte. An diesem Tag scheuchte sie ihre Falter so weit weg, dass sie nicht wiederkamen. Sie folgten ihr nur in weitem Abstand. Mit aller Gewalt versuchte sie, sie ganz zu vergessen, indem sie sich einredete, dass es nur erstaunlich dunkle Schneefalter waren.
An klaren Tagen ging sie hinunter zum Meer und legte Geschenke für Dajee zwischen die Felsen. Mal eine Kaninchenkeule, mal ein Schneehuhn, das Loved gefangen hatte. Sie hatte sich nicht getäuscht. Mit schlafwandlerischer Sicherheit hatte das Haimädchen auch diesmal ihren Glanz gefunden und war ihm gefolgt. Das Essen verschwand jedes Mal. Nur die über den ganzen Strand verstreuten Fellfetzen und blutigen Federn zeugten davon, mit welcher Gier das Mädchen alles verschlang, was essbar war. Nur einmal sah Summer das Kind am Strand und machte sich Sorgen, weil es bläuliche Lippen hatte.
»Dajee, warte!«, rief sie. Das Mädchen blieb stehen, geduckt, bereit, wieder zu dem Hai ins Wasser zu springen, der nervös vor dem Felsen auf und ab schwamm. »Ich bin dir nicht mehr böse, weil du mich gebissen hast. Willst du nicht zu mir ins Trockene kommen? Wenigstens nachts, wenn es am kältesten ist. Ich …
würde dir auch Geschichten erzählen. Und es gibt etwas zu essen.«
Das Mädchen schüttelte so entrüstet den Kopf, dass die nassen Locken flogen. »Komm du doch zu mir«, rief es herausfordernd. »Ich habe eine schöne Klippenhöhle gefunden. Mit ganz vielen Krebsen! Und Grottenolmen, die ganz leicht zu fangen sind. Die halten Winterschlaf und schwimmen nicht weg.«
»Nein danke«, erwiderte Summer so angeekelt, dass die Kleine den
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