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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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aber sie war so hungrig, dass sie sie sofort austrank. Als sie die Schale wieder senkte, hätte sie sie beinahe fallen gelassen. Handschuhe! Fast vor ihrer Nase. Aus braunem Leder waren sie - und voller Wasserflecken.
    Anzej legte ihr unter dem Tisch beruhigend die Hand auf den Oberschenkel, und Summer zwang sich, die Schale ruhig und unbeteiligt abzustellen, obwohl der Schreck noch in ihrem Bauch flatterte wie ein gefangener Falter.
    Die Handschuhe gehörten einer älteren Frau mit graubraunem Haar. Sie stand am Tisch und starrte die beiden Neuankömmlinge an, als seien sie Auslagen in einem Schmuckladen, deren genauen Wert sie schätzte. Als sie von Anzej zu Summer blickte, erkannte Summer, dass ihr rechtes Auge aus Glas bestand. Die Farbe passte nicht, offenbar hatte es vorher jemand anderem gehört.

    »Ausländer, was?«, sagte die Frau, ohne sich vorzustellen. Und ohne um Erlaubnis zu fragen, setzte sie sich mit einer wieselflinken Bewegung an den Tisch. Anzej schwieg, wie immer, und überließ Summer das Reden.
    »Lass uns in Ruhe«, sagte Summer unwillig. »Wir essen.«
    »So schlecht gelaunt? Lass mich raten, was dir die Laune verhagelt hat. Keine Unterkunft gefunden?« Die Frau grinste wie eine Fledermaus und lehnte sich zurück. Ohne Hast schälte sie sich aus ihrer Jacke und zupfte sich mit gezierter Geste die Handschuhe von den Fingern. Summer schaute krampfhaft weg - zu den Männern und ihren Karten. Eben knallte einer von ihnen eine Herzdame auf den Tisch - irgendein Witzbold hatte der Spielfigur mit schwarzer Tinte einen Schnurrbart aufgemalt.
    »Tja, also ich könnte euch ja eine Unterkunft besorgen. Und stellt euch vor, es kostet euch nicht einmal so viel.« Die Frau schnippte mit den Fingern.
    »Wer sagt, dass wir so lange bleiben wollen?«, entgegnete Summer kühl. »Wir sind nur auf der Durchreise. Und ich kann mich nicht erinnern, dich an unseren Tisch eingeladen zu haben.«
    Schon jetzt bereute sie es, unter Menschen gegangen zu sein, statt sich mit Anzej irgendeinen regengeschützten Unterschlupf im Freien zu suchen. Und zu allem Überfluss wurden nun die Spieler auf das Gespräch aufmerksam. Summer spürte ihre neugierigen Seitenblicke wie feine Nadelstiche. Jeder von ihnen vielleicht ein Verräter , dachte sie und wandte sich wie beiläufig von ihnen ab, damit sie ihr Gesicht nicht sahen. Direkt vor ihr auf dem Tisch lagen die Lederhandschuhe, eine Mahnung, so schnell wie möglich weiterzuziehen.
    »Na, nun mach mal nicht so’n Wind, du Zugvogel«, erwiderte die Frau ohne Groll. »Das hier ist nämlich immer noch mein
Stammplatz. Aber wenn du und dein stummer Freund nicht mit mir am selben Tisch sitzen wollt, bitteschön! Es steht euch frei, euch einen anderen zu suchen.« Sie senkte die Stimme und beugte sich vertraulich vor. »Aber lass uns doch einfach die Karten auf den Tisch legen. Ich weiß genau, wohin ihr wollt. Ihr wollt euer Glück machen. Im Krieg, wie alle, die hierherkommen.«
    Krieg. Das Wort brachte in Summer etwas Unangenehmes zum Schwingen, eine Ahnung - nein, noch war es nur die Ahnung von Furcht. Im Nordland?
    Abschätzend glitt der Blick der Frau über Summers zerschlissenen Pullover und die Hosen, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. »Reiche Schätze liegen in der Zitadelle. Für arme Schlucker wie euch das reinste Paradies.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Ach, sag bloß, du weißt nichts vom Krieg?«, setzte Glasauge triumphierend nach. »Na, dann habt ihr ja Glück, dass ihr mich getroffen habt!« Wie hervorgezaubert erschien plötzlich ein wasserfleckiges Stück Papier in ihrer Hand, das sie mit großer Geste auf den Tisch legte. Die Druckerschwärze war an einigen Stellen verwischt, aber Summer erkannte sofort, dass es ein Vertrag war.
    »Na, wie sieht’s aus, meine hübschen jungen Hungerleider? Vier Monate Kriegsdienst, und ihr seid reich! Hier, unterschreibt, und ihr bekommt den ersten Sold sofort bar auf die Hand, auf der Stelle, von mir! Na? Ist doch viel besser, als von einem Seelenverkäufer niedergeschlagen und bewusstlos aufs nächste Schiff geschleppt zu werden. Und das Beste: Ich gebe euch gratis ein schönes, weiches Bett und eine Passage auf einem der Rekrutenschiffe dazu! Alles, was ihr wissen müsst, lernt ihr, wenn ihr angekommen seid. Und wenn es euch gelingt, die weiße Zitadelle zu erobern, dann gehört ein Teil der Beute euch. Riesige Schatzkammern
warten darauf, geplündert zu werden. Ihr könnt reich werden!«
    Zu Summers

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