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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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stehen blieb, wo er die Nase sofort ins Wasser tauchte. Summer kniete sich auf das knisternde Herbstlaub von Purpureichen und beugte sich ebenfalls vor, um zu trinken. Aus dem Wasserspiegel vor einer Bachschwelle blickte ihr ein müdes Gesicht entgegen. Ihr Haar, das ihr nun wieder bis über die Ohren reichte, stand in wirren Locken, die vor Staub und trockenem Schlamm starrten, vom Kopf ab. Ich habe mich ebenfalls in ein wildes Tier verwandelt . Sie sah nicht besser aus als der Blutmann mit seiner Tarnfarbe. Auch ihr Gesicht war inzwischen geschwärzt, als trüge sie Kriegsbemalung. Nur die Tränen hatten ein bizarres Muster auf ihren Wangen hinterlassen. Sie schöpfte Wasser und trank gierig. Dann wusch sie sich, so gut es ging. Das eisige Nass linderte das Pochen an ihren Handgelenken. Schmutzwolken bauschten sich im Wasser, doch nach und nach wurde es klarer. In der Hoffnung, gleich die Summer wiederzusehen, die sie kannte, wartete sie, dass das Wasser sich beruhigte - und prallte mit einem Aufschrei zurück. Das Pferd erschrak und machte einen Satz zur Seite, das Seil spannte sich und drohte Summer wieder zum Wasser zu ziehen. Nur aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Blutmann das Pferd im letzten Moment zurückhielt. »Was soll das?«, rief er zu ihr herüber.
    »Ein … Ungeheuer!«, stieß sie hervor. Über ihr raschelte es auf dem Felsvorsprung. Zweige bewegten sich auf der Anhöhe,
als hätte jemand sie beim Weggehen gestreift. Das Ungeheuer musste oben im Baum gesessen und sie beobachtet haben!
    »Das war doch nur ein Tierläufer«, sagte der Blutmann unwillig.
    »Ein Tierläufer?« Summer schüttelte den Kopf. »Nein, das kann nicht sein! Das sind doch Menschen - oder nicht? Aber das Ding im Wasser hatte schwarzblaue Haut und weiß glühende Augen wie ein Dämon. Und Fänge und Krallen!«
    Sie wagte den Blick nicht von den Eichen zu wenden. Der Blutmann schien zu stutzen, jedenfalls klang er verwundert, als er antwortete: »Natürlich. Sie sind Menschen. Aber ihr Spiegelbild zeigt ihr anderes Ich.«
    Jetzt fuhr Summer zu ihm herum. »Ihr Spiegelbild sieht aus wie …«, begann sie, doch dann vergaß sie alles, was sie hatte sagen wollen. Mitten im Bach stand ein Fremder und blickte sie ebenso irritiert an wie sie ihn. Zumindest war das nicht mehr der Blutmann, von dem sie am Tag meist nur den Rücken und bei Nacht den schattenhaften Umriss sah. Und er hatte nichts, gar nichts mehr mit dem grausamen Henker ihrer Albträume und Ängste gemein.
    Er hatte sich Schmutzkrusten und Tarnfarbe vom Gesicht gewaschen und sich das nasse Haar mit den Fingern aus dem Gesicht gekämmt. Seine Augen waren ein wenig umschattet. Und er ist tatsächlich ganz bestimmt nicht älter als ich! , dachte sie halb schockiert, halb fasziniert.
    Nachdenklich musterte er Summers Gesicht, als würde er darin nach der Auflösung eines Rätsels suchen. Seine Rechte lag auf dem Hals des Pferdes, unter der Mähne. Beruhigend strich er über das Fell, und wie immer war die Sanftheit, mit der er das Tier behandelte, ein irritierender Gegensatz zu der Grobheit, die er im Umgang mit Summer an den Tag legte.

    Das Seltsamste war, dass Summer den Blick nicht von ihm abwenden konnte. Sein Gesicht zu betrachten, berührte sie auf seltsame Weise. Wenn ich ihn anderswo getroffen hätte, ohne zu wissen, wer er ist, dann würde ich ihm zulächeln . Er… würde mir sogar gefallen.
    Die Brauen waren gerade, was die Klarheit seiner Gesichtszüge noch betonte. Nur auf seinem rechten Jochbogen fand sich eine Unregelmäßigkeit - eine alte Narbe. Halbmondförmig und leicht erhaben stand sie in deutlichem Kontrast zu der dunkleren Haut.
    Und plötzlich raste ihr Herz, und irgendetwas tief in ihrer Erinnerung regte sich und war zum Greifen nahe. Ich kenne ihn wirklich! Die Halbmondnarbe und …
    Ihr Blick wanderte zu seiner Linken, die die Zügel hielt. Er hatte die Handschuhe ausgezogen. Auf dem Handrücken zeichneten sich Narben ab. Sie waren ebenfalls leicht erhaben, und ihre Form ähnelte der weißer, gefiederter Blätter. Waren das die Spuren von Brandwunden? Sie waren nicht hässlich, man hätte sie ohne Weiteres für Initiationszeichen eines Stammes halten können, doch daran, wie schnell er die Hand nun zurückzog und in der Jackentasche verbarg, erkannte Summer nur allzu deutlich, dass er diese Narben als Makel empfand.
    Brüsk wandte er sich von ihr ab, als könnte er ihren Anblick nicht länger nicht ertragen. »Gewöhn dich daran, dass sie uns

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