Aschenputtel: Thriller (German Edition)
erinnere mich daran, mit ihr geredet zu haben, also, mit der Mutter des Kindes. Man muss ja wohl auch ein bisschen Verantwortung für sich selbst übernehmen«, sagte er mit gepresster Stimme, und erst jetzt sah Peder, wie mitgenommen er in Wirklichkeit war. » Es ist doch kein verdammtes Versprechen, dass der Zug zehn Minuten hält, nur weil wir zu einem bestimmten Zeitpunkt davon ausgehen. Alle– und zwar alle Reisenden– wollen doch so schnell wie möglich weiterkommen. Da ist es doch wohl kein Problem, früher abzufahren, als man zunächst angenommen hat. Warum hat sie denn auch den Bahnsteig verlassen? Wenn sie dageblieben wäre, dann hätte sie hören können, wie ich die Abfahrt ausgerufen habe.«
Arvid trat gegen eine leere Coladose, die vor ihm auf der Erde lag. Sie knallte heftig gegen den Zug und kullerte dann über den Bahnsteig zurück.
Peder hatte den Verdacht, dass sowohl Arvid Melins Nachtschlaf als auch der von Henry Lindgren für lange Zeit ruiniert sein würden, wenn das Mädchen nicht bald wohlbehalten wieder auftauchte.
» Sie haben also nicht gesehen, dass Sara Sebastiansson zurückblieb?«, fragte Peder vorsichtig.
» Nein, absolut nicht«, sagte Arvid mit Nachdruck. » Ich habe natürlich über den Bahnsteig geschaut, wie wir es immer machen. Der war leer, also sind wir abgefahren. Und dann sagt Henry zu mir, er habe versucht, mich über Funk zu erreichen, nur… Ich hatte vergessen, ihn wieder einzuschalten.«
Peder sah zum dunkelgrauen Himmel hinauf und schlug sein Notizbuch zu.
Er würde noch den Rest des Zugpersonals und die Leute auf dem Bahnsteig befragen müssen. Wenn Fredrika mit der Mutter des Kindes fertig war, konnte sie ihm vielleicht dabei helfen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Fredrika und Sara Sebastiansson ein paar letzte Worte wechselten und sich dann voneinander trennten. Sara sah mitgenommen aus. Peder schluckte. Für einen kurzen Moment sah er seine eigene Familie vor sich. Was würde er selbst tun, wenn jemand versuchte, einem seiner Kinder Leid anzutun?
Der Griff um das Notizbuch wurde fest. Er musste sich beeilen. Es gab noch mehr Leute zu verhören, und Alex wartete nicht gern.
In Peders Dienstwagen kehrten sie zum Haus zurück. Das Auto rollte über den regennassen Asphalt. Sowohl Fredrika als auch Peder waren in Gedanken versunken. Sie parkten in der Tiefgarage und nahmen dann schweigend den Fahrstuhl hinauf zu den Räumen des Ermittlerteams, die unmittelbar neben den Büros der Landes- und der Bundeskriminalpolizei und denen der städtischen Behörde lagen.
Die Ermittlergruppe von Alex Recht diente zwei Herren, auch wenn dies niemand gerne öffentlich eingestand; eigentlich sogar dreien. Sie bestand aus einer kleineren Anzahl handverlesener Ermittler, die auf dem Papier zur Stockholmer Polizei gehörte, aber in Wirklichkeit sowohl der Bundes- als auch der Landeskripo unterstand und von beiden auch in Anspruch genommen werden konnte– eine politische Lösung für etwas, das eigentlich kein Problem darstellen sollte.
Fredrika sank müde auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch. Am Schreibtisch… Es gab doch keinen besseren Ort zu denken und zu wirken! Wie naiv sie in ihrem Glauben gewesen war, dass ihre Expertise bei der Polizei begehrt sein würde! Das tiefe Misstrauen, nein: die Verachtung ihrer Kollegen für akademische Weihen war ihr völlig unverständlich. Aber war es wirklich Verachtung? Vielleicht fühlten sie sich einfach bedroht? Fredrika konnte es nicht wirklich benennen. Sie wusste nur, dass ihre derzeitige Arbeitssituation auf Dauer nicht haltbar war.
Bevor sie dem Ermittlerteam von Alex Recht zugeteilt worden war, hatte sie in der Verbrechensprävention gearbeitet, danach ein Jahr in der Sozialverwaltung, wo sie eine Gutachterstelle innegehabt hatte. Bei der Polizei hatte sie sich beworben, um praktische Erfahrung zu sammeln. Sie würde hier nicht bleiben. Doch trotz der Lage, in der sie sich hier befand, fühlte sie sich sicher. Sie besaß ein gutes Netzwerk, hatte jede Menge Kontakte und Zugang zu verschiedenen behördlichen Stellen. Wenn sie nur die Nerven behielt, dann würde sich schon bald eine neue Möglichkeit ergeben.
Fredrika war sich nur allzu bewusst, wie sie von ihren Kollegen bei der Polizei eingeschätzt wurde. Schwierig und unzugänglich. Humorlos und ohne Gefühlsleben.
Das ist nicht wahr, dachte Fredrika. Ich bin nicht gefühllos, ich fühle mich nur gerade so verdammt verloren.
Ihre Freunde würden sie als warmherzig und
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