Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Oder vielmehr: was der Mann beschlossen hatte. Er wusste es besser als sie, deshalb überließ Jelena ihm sämtliche Planung.
Wenn sie die Sache ruinierte, war sie erledigt, das wusste sie. Sie schluckte und konzentrierte sich wieder aufs Fahren.
Das Geschöpf abwerfen, dachte sie. Etwas anderes gab es gerade nicht.
Musste nur der richtige Zeitpunkt kommen.
Am Ende ihres Arbeitstages erstellte Fredrika Bergman eine Liste.
Sie war völlig fertig. Als sie sich am vorangegangenen Abend hatte hinreißen lassen, zu viel Wein zu trinken und zu wenig zu schlafen, hatte sie ja keine Ahnung gehabt, dass der Tag einen solchen Verlauf nehmen würde.
Fredrika warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Es war halb acht. Erst gegen vier Uhr hatte sie etwas essen können, und bald würde sie wieder hungrig sein.
Ihr Handy vibrierte. Eine neue Nachricht. Fredrika war erstaunt, als sie sah, dass sie von Spencer kam. Er schickte sonst so gut wie keine SMS.
» Meine Liebe, nochmals vielen Dank für das wunderbare Zusammensein gestern Nacht. Hoffe, dass wir uns am Wochenende wieder sehen können. S.«
Fredrika wurde innerlich warm. Irgendjemanden gab es für jeden. Und sie hatte Spencer Lagergren. Zumindest manchmal.
Doch dann tauchten die Gedanken von letzter Nacht wieder auf. Was kostete die Beziehung zu Spencer sie eigentlich? Eine Freundin hatte einmal behauptet, Spencer mache sie bequem und dass sie seinetwegen niemals jemanden kennenlernte, mit dem sie eine ernsthafte Beziehung eingehen konnte. Fredrika hatte protestiert und gemeint, so sei es ganz und gar nicht. Spencer war die wärmende Decke, nach der sie sich ausstrecken konnte, wenn die Sehnsucht nach Nähe sie überwältigte. Wenn sie ihn nicht hätte, wäre sie wohl kaum weniger einsam, sondern vielmehr verzweifelt allein.
Fredrika konzentrierte sich wieder auf ihre Liste, war sich aber bewusst, dass die Gedanken sie schon bald wieder einholen würden.
Warum nur konnte kein anderer Zeuge die Aussage von Ingrid Strand bestätigen? Warum hatte niemand gesehen, wie das Mädchen von einem großen Mann auf den Bahnsteig hinausgetragen worden war?
Alex hatte diese Frage damit beantwortet, dass es sich um genau den alltäglichen Anblick handelte, auf den Leute nicht reagierten und den sie eben deshalb auch nicht im Gedächtnis behielten. Ein Vater, der sein Kind im Arm trug: Wer fand das schon besonders bemerkenswert?
Bis zu einem gewissen Grad konnte Fredrika dies nachvollziehen. Und sie konnte auch verstehen, dass ausgerechnet Ingrid Strand sich an die Sache erinnerte, weil sie zuvor während der Zugreise Kontakt zu dem Kind gehabt hatte. Trotzdem…
Fredrika hatte Mats Dahlman, den Analytiker, beiseitegenommen, den Alex der Gruppe im Übrigen anscheinend immer noch nicht hatte vorstellen wollen. Gab es denn wirklich keine weiteren Zeugenaussagen, die Ingrid Strands Aussage bestätigten?
Mats, der die eingehenden Hinweise einen nach dem anderen bearbeitete und in eine Datenbank einsortierte, hatte die Lippen zusammengekniffen und den Kopf geschüttelt. Doch er hatte ihr den Gefallen getan und erneut nachgesehen. Nein, es gab wirklich niemand anderen, der entsprechende Informationen gemeldet hatte.
Fredrika stellte nicht infrage, dass Ingrid Strand tatsächlich Zeuge dessen geworden war, was sie der Polizei gegenüber zu Protokoll gegeben hatte. Sie fragte sich nur, wohin Lilian und ihr Vater– wenn es sich denn überhaupt um ihn gehandelt hatte– hingegangen waren, nachdem sie den Bahnsteig verlassen hatten. Und warum hatte sie auch später niemand mehr gesehen?
Die Taxiunternehmen waren befragt worden, ebenso verschiedene Ladenbesitzer, die im Hauptbahnhof ihre Geschäfte hatten, aber nicht der geringste Hinweis war eingegangen. Niemand konnte sich daran erinnern, einen großen Mann gesehen zu haben, der ein Kind auf den Armen trug, das Lilian ähnelte. Das bedeutete natürlich nicht, dass sie ihn nicht gesehen hatten, sondern einfach nur, dass sie sich nicht daran erinnerten. Und das irritierte Fredrika. So viele Menschen hätten ihn doch sehen müssen.
Alex hatte dies offenbar keine Kopfzerbrechen verursacht. » Gebt den Leuten etwas Zeit«, hatte er gesagt. » Früher oder später erinnert sich irgendjemand.«
Gebt den Leuten etwas Zeit.
Fredrika schüttelte sich unwillkürlich. Wie viel Zeit blieb ihnen denn schon?
Natürlich hing alles davon ab, wer das Kind entführt hatte und warum. Mit einem Anflug von Verzweiflung erkannte Fredrika, dass sie die
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