Aschenputtel: Thriller (German Edition)
Einzige in der Gruppe war, die immer noch nicht völlig ausschließen mochte, dass es vielleicht jemand ganz anderes als Gabriel Sebastiansson war.
Der Staatsanwalt, mit dem sie gesprochen hatten, war im Großen und Ganzen auf Alex’ und Peders Linie eingeschwenkt und hatte es für wahrscheinlich angesehen, dass es der Vater war, der Lilian aus dem Zug geholt hatte. Ingrid Strand hatte zwar das Gesicht des Mannes, der Lilian hinausgetragen hatte, nicht gesehen, aber was sie ihnen ansonsten erzählt hatte, stützte diesen Verdacht. Und es war ja auch kein Verbrechen, seine Tochter vom Zug abzuholen. Es gab kein Gerichtsurteil, das Gabriel Sebastianssons Recht, Umgang mit der Tochter zu haben, einschränkte, auch wenn es natürlich wünschenswert war, dass er die Mutter davon in Kenntnis setzte, wohin er das Mädchen mitnehmen wollte.
Das abrasierte Haar hingegen konnte problemlos als Misshandlung eingestuft werden. Da es aber nichts gab, was den Vater mit der Paketsendung in Verbindung brachte, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kind in Wirklichkeit etwas ganz anderes zugestoßen war, auch wenn der Staatsanwalt mehrmals darauf hingewiesen hatte, für wie unwahrscheinlich er dies erachtete. Er hatte nach einer halben Stunde des Hin- und Herüberlegens zusammengefasst: Das Kind war mitgenommen und die Mutter darüber nicht informiert worden. Das Kind war vermutlich misshandelt worden; das Paket an die Mutter konnte nicht anders als eine Drohung aufgefasst werden. Das genügte, um die begangene Tat als Entführung zu werten, und Gabriel Sebastiansson wurde als der Tat besonders verdächtig bezeichnet. Damit war ein Haftbefehl legitimiert, und Alex hatte außerdem dafür gesorgt, dass Sebastiansson damit auch garantiert im ganzen Land gesucht wurde.
Alex und Peder hatten ungeheuer erleichtert ausgesehen, als sie die Staatsanwaltschaft verlassen hatten. Frederika war mit gerunzelter Stirn zwei Schritte hinter ihnen hergegangen.
Sie starrte auf die Liste der Personen in Sara Sebastianssons Bekanntschaft und Familie, die sie am folgenden Tag treffen würde. Wenig erstaunlich, dass Peder fast schon begeistert gewesen war, als sie ihm nur zu gern die weiteren Nachforschungen in Gabriel Sebastianssons Umfeld überlassen hatte. Er hatte sichtlich triumphiert, als hätte er gerade das große Los gezogen.
Aber Fredrika erlaubte sich zu zweifeln.
Nicht etwa daran, dass Sara Sebastiansson in bewusster oder unbewusster Beziehung zu dem Täter stand oder gestanden hatte. Aber sie war unsicher, ob es sich dabei wirklich um Gabriel Sebastiansson handelte.
Fredrika musste an die Frau denken, mit der Ellen am Nachmittag telefoniert hatte. Die mit einem Mann zusammengelebt hatte, der sie geschlagen hatte, und die jetzt glaubte, dieser Mann habe Lilian entführt. Natürlich gab es eine mikroskopisch kleine Chance, dass der Mann, von dem sie gesprochen hatte, wirklich Gabriel Sebastiansson war. Doch auch da erlaubte sich Fredrika Zweifel. Es gab keine weiteren Anzeigen gegen Gabriel, und die müsste es doch geben, wenn er derselbe Mann war, von dem die anonyme Frau berichtet hatte. Zumindest wenn man davon ausging, dass die Frau ihn angezeigt hatte. Alex und Peder hatten Fredrikas Versuch, den eingegangenen Hinweis höher einzuordnen, ungeduldig verworfen und sie gebeten, sich » auf konkrete und realistische Szenarien« zu konzentrieren, anstatt neue zu erfinden.
Fredrika schüttelte verbittert den Kopf. Erfundene Szenarien. Wie kamen sie nur darauf?
Mit Mats’ Hilfe hatte sie dann gelernt, wie man einen solchen Anruf zurückverfolgte. Die Frau hatte von einer Telefonzelle im Zentrum von Jönköping aus angerufen. Dort verliefen sich sämtliche Spuren. In Jönköping. Schnell hatte Fredrika kontrolliert, ob Gabriel Sebastiansson irgendwelche Verbindungen dorthin hatte, hatte aber keine einzige gefunden.
Für Fredrika stand also fest, dass der eingegangene Anruf rein gar nichts mit Gabriel Sebastiansson zu tun hatte. Die Frage war nur, ob es sich dennoch lohnte, sich damit zu beschäftigen. Trotz allem stimmte schließlich, was Ellen gesagt hatte: Wenn die Polizei sich an die Allgemeinheit wandte und um Hilfe bat, rief immer eine ganze Reihe seltsamer Leute an.
Fredrika runzelte die Stirn. Vielleicht war es, wie Alex immer sagte: dass ihr das Gefühl für den Beruf fehlte. Andererseits… Fredrika holte tief Luft. Andererseits: Wenn man sich an Alex’ und Peders Beschreibung dessen hielt, was Kern aller Polizeiarbeit
Weitere Kostenlose Bücher