Aschenputtel: Thriller (German Edition)
weinen. Sie wusste, dass der Mann nicht zu Hause war. Das war er nach einer Zurechtweisung nie.
Die Tränen liefen über ihre Wangen.
Wenn sie nur hätte zu Ende reden dürfen, wenn er ihr nur zugehört hätte und nicht einfach auf sie losgegangen wäre!
Dieser Zorn.
So etwas hatte Jelena noch nie erlebt.
Wie konnte er ihr das nur antun?, dachte sie, während sie in das blutbefleckte Kopfkissen weinte.
Dieser Gedanke war eigentlich verboten. Sie durfte den Mann nicht infrage stellen, so lautete die Regel. Wenn er sie zurechtwies, dann geschah das ausschließlich zu ihrem Besten. Wenn sie das nicht verstand, dann war ihre Beziehung dazu verdammt, schwach zu sein, und musste beendet werden. Wie oft hatte er ihr das schon erklärt.
Trotzdem…
Jelena war eine Frau, die Stück für Stück jeden Glauben an sich und ihre Umwelt verloren hatte. Sie war allein, und zwar, weil sie es verdiente. Deshalb war sie dankbar und fühlte sich geliebt, wenn jemand wie er sie wollte.
Doch einen kleinen Rest Kraft gab es in ihr, den der Mann noch nicht hatte zerstören können. Das war ja auch gar nicht seine Absicht, denn ohne Kraft konnte sie niemals seine Verbündete in dem Krieg sein, den sie führten.
Wie sie da nackt auf dem Bett lag, allein und verstoßen, mit Wunden am ganzen Körper, nahm Jelena diesen letzten Rest Kraft zusammen, um den salzigen Geschmack des Protestes zu spüren. Als sie noch jünger gewesen war, in einer Zeit, die sie und der Mann unter allen Umständen zu vergessen versucht hatten, war ihre ganze Erscheinung ein einziger Protest gewesen. Der Mann hatte ihr das weggenommen. Die Art des Protestes, die sie sich angeeignet hatte, war verwerflich gewesen. Das hatte er ihr gleich beim ersten Mal erklärt, als er sie im Auto abgeholt hatte. Und es gebe schließlich noch andere Formen von Protest. Wenn sie wollte und es wagte, dann würde er ihr helfen können weiterzukommen.
Jelena hatte nichts lieber gewollt.
Aber der Weg zu der Vollkommenheit, die nach den Worten des Mannes so wichtig war, um an seinem Kampf teilhaben zu können, war viel länger, als Jelena es sich je hätte vorstellen können. Lang und schmerzhaft. Es tat fast immer irgendwo weh. Am meisten tat es weh, wenn er sie verbrannte. Aber das hatte er nur einige wenige Male getan und nur zu Beginn ihrer Beziehung.
Jetzt hatte er es wieder getan.
Jelena brannte vor Fieber. Der Brustkorb schmerzte, wenn sie atmete, und sie war an mehr Stellen am Körper verbrannt, als sie zu denken wagte. Der Schmerz machte sie wahnsinnig.
Ein verzweifelter Gedanke fuhr ihr durch den Kopf.
Ich brauche Hilfe, dachte sie. Ich brauche Hilfe.
Mit schier letzter Willenskraft glitt sie über die Bettkante und begann, langsam aus dem Zimmer zu kriechen. Wegen ihrer Verwundungen Hilfe zu suchen, war ein weiterer Verstoß gegen die Regel, aber diesmal hatte sie das Gefühl, dass sie sterben würde, wenn sie nicht versorgt wurde.
Normalerweise kam der Mann früher oder später nach Hause und half ihr. Aber diesmal hatte Jelena keine Zeit, um auf ihn zu warten. Die Kraft verließ sie viel zu schnell.
Muss es bis zur Eingangstür schaffen.
Tief in ihr wuchs die Panik. Was würde das für die Beziehung zwischen ihr und dem Mann bedeuten? Was würde davon noch übrig sein, wenn sie hinter seinem Rücken so etwas tat?
Der Mann würde es natürlich niemals akzeptieren, wenn sie Selbstständigkeit zeigte und in dem Zustand, in dem sie sich jetzt befand, die Wohnung verließ. Er würde sie verfolgen und sie töten.
Los, sagte sich Jelena, als sie auf Knien und heillos zitternd die Finger um die Klinke der Eingangstür schloss. Denk nach.
Sie kämpfte, um die andere Hand anzuheben, damit sie das Schloss öffnen konnte. Das Schloss und dann die Tür öffnen.
Danach erinnerte sie sich an nichts mehr.
Denn die Tür flog auf, und harter Marmor fing Jelenas Gesicht auf, als sie zu Boden ging.
Alex Recht begann seinen Arbeitstag , indem er Fredrika nach Uppsala schickte, wo sie sich mit Maria Blomgren unterhalten sollte, der früheren Freundin von Sara Sebastiansson, die mit ihr den Schreibkurs in Umeå besucht hatte.
Dann setzte er sich mit einer Tasse Kaffee hinter den Schreibtisch. Schweigend und allein.
Später sollte Alex sich erinnern, wie sich der Fall in ein wildes Tier verwandelt hatte, das die ganze Ermittlergruppe zum Verstummen brachte, indem es ihnen stur und hartnäckig seinen Willen aufdrängte, seine eigenen Wege zu gehen. Es war, als hätte der Fall
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