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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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sich langsam zu uns um.
    Es ist eigenartig, ihr gegenüberzustehen, in Wirklichkeitist sie noch sehr viel zarter. Ihre Statur ähnelt Elsas, aber ihr fehlt jene Zähigkeit, die Elsa ausstrahlt, wenn sie in die Luft springt. Aus ihrem Gesicht schauen mich Tobis Nebelaugen an, und wenn sie so wie jetzt im selben Raum nebeneinanderstehen, gibt es keinen Zweifel daran, dass sie Bruder und Schwester sind. Sie werden beide von dieser unnahbaren Aura umgeben, die doch gleichzeitig anziehend wirkt.
    Umso erschreckender ist der Verband, der sich um ihren Kopf schlingt und unter dem die Verletzung verborgen liegt. Die Wunde wird vollständig davon verdeckt; fast könnte man glauben, sie wäre gar nicht da.
    »Du bist Elsas Cousine, nicht wahr?«, sagt sie, und ihre Stimme klingt, wie es sich für eine Prinzessin gehört: sanft und melodisch. »Du hast mich im Moor gefunden …«
    Ich nicke.
    »Danke.«
    Dann schweigen wir.
    Ich werfe Tobi einen Blick zu, aber er ist viel zu sehr damit beschäftigt, Nina zu mustern, wobei er die Stirn runzelt. In ihrer Nähe wirkt er weniger wie ein Hexer und mehr wie ein Junge.
    Nina lässt sich durch die Beobachtung nicht irritieren, sicher ist sie es gewohnt, dass sie immerzu irgendwer anstarrt, das lässt sich als Model ja nicht vermeiden. Außerdem kann sie vermutlich kaum aus dem Haus gehen, ohne dass die Leute ihr nachsehen oder sie betrachten wollen, denn es ist schwer, sie nicht anzuschauen.
    Es gibt Tage, da passiert es mir auch manchmal, dass die Leute die Köpfe nach mir umdrehen, aber meistens, weil ich etwas angezogen habe, das ein bisschen aus dem Rahmen fällt. Ich besitze eine Frackjacke aus orangenem Samt, die mir eine Freundin von Mutsch genäht hat, wenn ich die anziehe, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass die Leute ihre Köpfe wenden.
    Aber die Jacke kann ich ausziehen, wenn ich keine Lust mehr habe, angestarrt zu werden, Nina dagegen kann ja schlecht ihr Gesicht ablegen.
    »Elsa hat gesagt, dass du Ratten hast, stimmt das?«
    »Zwei. Edgar und Tennessee«, antworte ich auf ihre Frage und bin ein bisschen irritiert darüber, dass sie solche Dinge über mich weiß.
    Warum hat Elsa behauptet, dass sie Nina kaum kennt? Offenbar kennt sie sie gut genug, um ihr von mir zu erzählen.
    Mit vorsichtigen Bewegungen wie bei einem scheuen Tier tritt Tobi an sie heran und umarmt sie von hinten, genauso wie es Elsa vor ein paar Tagen bei mir gemacht hat. Ihre dunklen Haare vermischen sich miteinander, und es ist kaum auszuhalten, wie schön sie beide sind. Ich komme mir dagegen ziemlich durchschnittlich vor. Selbst mit Hosenträgern und Essstäbchen im Haar.
    »Lass uns den Winter vergessen und einen Affen suchen …«, flüstert Tobi so leise, dass ich ihn kaum verstehe, es klingt wie ein Auszug aus einem Lied oder einem Gedicht.
    Für einen kurzen Augenblick lächelt Nina, bevor sie vor Schmerz das Gesicht verzieht. »Mit langen Armen und samtigen Knien. Und einer Nase lustig und breit«, flüstert sie, als hätte er ein Codewort genannt, auf das sie antworten muss.
    »Lass uns den Winter vergessen und Charleston tanzen …«
    »Mit dir im Affentanz satt von den Bäumen springen, laut und zu zweit.«
    Nervös blicke ich mich um, denn ich habe das Gefühl, die beiden zu stören. Aber schon im selben Moment lösen sie sich voneinander, als hätten sie meinen Gedanken gehört.
    »Hat dich die Polizei eigentlich nach irgendwelchen Gemeinsamkeiten mit Elsa gefragt?«, will ich von ihr wissen, weil mir die Frage im Kopf brennt.
    Nun sieht sie mich wieder an. »Bist du deswegen hier? Um etwas darüber zu erfahren? Warum? Hat dir nicht gereicht, was du gesehen hast?« Obwohl ihre Worte bitter sind, klingt ihr Ton, als würde sie nach etwas so Banalem wie dem Wetter fragen, was mich schockiert.
    Doch bevor ich etwas erwidern kann, kommt noch jemand hinter mir ins Zimmer. Als ich mich umdrehe, steht derselbe Mann vor mir, den ich im Krankenhaus ganz kurz am Ende des Ganges gesehen habe. Vermutlich ist es ihr Vater.
    Aus der Nähe fällt mir auf, dass er nervös und beinahe zittrig wirkt. Sein linkes Auge zuckt unaufhörlich undauch sein Hals spannt sich immer wieder an. Vielleicht hat das etwas mit der Berufsunfähigkeit zu tun, die Tobi angesprochen hat. Die grauen strengen Augen haben sie jedenfalls von ihm geerbt, und erst nachdem Tobi erklärt hat, wer ich bin, wird sein Ausdruck weicher. Er bedankt sich ebenfalls noch einmal bei mir, aber er gibt mir nicht die Hand.
    Wir wechseln

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