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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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fahlen Licht. Unter meinen Füßen zittert der Torfboden, so abrupt bleibe ich am Rand der Freifläche stehen.
    Und da wenden sie mir die Köpfe zu. Ihre Gesichter scheinen mir fremd, als hätte das Moor von ihnen Besitz ergriffen. Vielleicht ist es ja so, vielleicht sind all die Geschichten darüber wahr, und das Moor lockt die Menschen in seine Fänge, bis sie sich selbst darin verlieren.
    Für einen Augenblick sehen wir uns an, beinahe wieerstarrt, dann sagt Elsa: »Du hättest nicht herkommen sollen, Harper.«
    Und du hättest dem Monster nicht nachgeben dürfen.
    »Komm mit mir zurück, Elsa«, sage ich flehentlich und strecke die Hand nach ihr aus. »Was machst du hier? Mitten in der Nacht? Du müsstest doch wissen, wie gefährlich das ist.«
    Ein krächzender Laut kommt aus ihrer Kehle, und ich erkenne, dass es ein Lachen ist. Leise und nicht unfreundlich. »Ach, Harper, jeder in diesem Ort kennt das Moor, selbst die, die es nicht mögen. Ich war doch schon so oft hier. Ich bin nicht Rotkäppchen, schon vergessen? Ich komme nicht vom Weg ab.«
    »Tobi hat die Polizei angerufen, sie werden herkommen.«
    Auf meine Ankündigung entfährt David ein »Verdammt«. Er macht einen Schritt zurück und bricht so die eigenartige Formation auf, die sie drei gebildet haben.
    »Warum hast du das gemacht?«, fährt Elsa mich an. »Du machst alles nur schlimmer!«
    »Was soll denn daran noch schlimmer werden, Elsa?« Ich zeige auf ihren Fuß, aber sie schüttelt wild den Kopf und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. »Das ist doch Wahnsinn. Was tust du hier? Ausgerechnet hier …«
    Irgendwo in der Nähe ist ihr Blut in den Boden geflossen und sie kommt trotzdem zurück.
    »Du verstehst das eben nicht«, sagt David kalt und kommt langsam auf mich zu.
    Ich weiche zurück, aber rückwärts zu laufen, ist im Moor keine gute Idee. Wenn man nicht sieht, wohin man geht, kann man leicht verunglücken.
    »Elsa!«, rufe ich. »Komm mit mir nach Hause.«
    »Sie kann selbst entscheiden, was sie tun will, genau darum geht es doch.« David verringert den Abstand zwischen uns, bis uns nur noch zwei Armlängen trennen. Über seine Schulter sehe ich, wie Nina die Hand auf Elsas Arm legt und ihr ins Ohr flüstert.
    »Tobi sucht dich«, sage ich zu ihr. »Er macht sich Sorgen um dich …«
    »Er hat sich keine Sorgen gemacht, als dieser Scheißtyp sie in Frankfurt …«, entgegnet David, doch Ninas Stimme klingt scharf, als sie seinen Namen ruft und ihn somit am Sprechen hindert. Wie es sich für eine Eisprinzessin gehört, steht sie aufrecht und starr im Mondlicht. Selbst im Nachtlicht glänzt ihr Haar noch.
    Zerknirscht wirft er einen Blick über die Schulter.
    »Das ist nicht wahr«, erwidere ich. »Tobi macht sich große Vorwürfe, dass er nicht … dass er dir nicht helfen konnte, das musst du ihm glauben.«
    Aber Nina wendet sich ab, und den inneren Kampf, den sie austrägt, erkenne ich an ihren bebenden Schultern. Über uns fliegt ein Schatten vorbei, der einen schrillen Schrei ausstößt, und in den Büschen raschelt es unentwegt.
    »Wir helfen uns selbst«, zischt David und senkt den Kopf wie ein Stier zum Angriff.
    Und auf einmal packt mich eine schreckliche Gewissheit, die mir in alle Glieder fährt und meine Haut brennen lässt. Erschüttert taumle ich nach hinten. »Du hast es getan«, flüstere ich ihm entgegen. »Du hast nie einen Unfall gehabt und bist auch nicht überfallen worden, denn du … du hast Elsa und Nina das angetan.«
    Er ist das Monster.
    Das Puzzle fügt sich zusammen. Festhaltegriffe sind ihm nicht fremd, das hat er jahrelang im Judo trainiert. Er ist kräftig genug, um zwei Mädchen festzuhalten und sie zu betäuben …
    »Die Nachrichten waren gar nicht für die Polizei, nicht wahr?«, sage ich. »Sie waren für Elsa und Nina. Damit sie wissen, wer ihnen das angetan hat. Wahrscheinlich haben sie deshalb auch von Anfang an vom Thema abgelenkt oder versucht, uns davon abzubringen, weiter nachzufragen. Weil sie wussten, dass du es warst.«
    »Er hat uns geholfen«, ruft Elsa ungehalten.
    »Indem er euch verstümmelt?«
    »Er hat uns befreit.«
    Wie im Märchen von den sieben Geißlein, er ist der Jäger, der dem Wolf den Bauch aufschneidet. Der Retter.
    »Das ist doch krank.«
    Es ist die Natur des Monsters.
    Das ist also die Wahrheit, nach der ich die ganze Zeit gesucht habe! Der eigentliche Grund, warum Elsa und Nina ihn decken. Weil sie wissen, dass er ihnen nichts angetan hat, was er sich selbst

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