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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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verstrickt wurde, und zweitens wollte ich zukünftig eigentlich so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben. Andererseits war ein Zeuge womöglich unabdingbar. Und jemand anderes als Kevin kam dafür nicht in Frage. Außer vielleicht Anne. Aber allein der Gedanke daran, sie mit hineinzuziehen widerstrebte mir. Außerdem konnte sie, wenn überhaupt, nur gegen den Dealer aussagen, nicht jedoch gegen diesen schmierigen Kerl, der mich eingesperrt hatte, wovon sie sowieso nichts wusste, was auch so bleiben sollte.
    Â»Es würde auch ohne seine Zeugenaussage gehen«, sagte Uschasnik. »Aber mit ihr werden wir mehr Chancen haben, dass die beiden zur Rechenschaft gezogen werden. Was meinst du?«
    Â»Hat Kevin das selbst vorgeschlagen, oder haben Sie ihn dazu überredet?«
    Â»Er kam mit der Idee zu mir.«
    Â»Na dann«, sagte ich. »Ich habe nichts dagegen.«
    Â»Sehr schön.« Uschasnik klatschte einmal in die Hände.
    Â»Und jetzt? Wie geht’s jetzt weiter?«
    Â»Du machst die Personenbeschreibungen und notierst ganz genau, was sie dir angetan haben.«
    Â»Jetzt?«
    Â»Ja, jetzt. Ich will dabei sein. Ich will dich im Auge behalten, im Falle, dass dich das alles doch zu sehr aufregt.«
    Er reichte mir einen Block und einen Kugelschreiber, und ich schrieb alles auf, jedes noch so kleine Detail, an das ich mich erinnern konnte. Danach war ich vollkommen erschöpft, als hätte ich einen anstrengenden Ferienjobtag hinter mir. Dr. Uschasnik meinte, dass wir heute genug gearbeitet hätten und gab mir für den restlichen Tag frei. Also konnte ich wieder zu Anne zurück.
    Auf dem Weg zurück in mein Zimmer summte ich ein Lied vor mich hin. Erst nahm ich es gar nicht wahr, um dann darüber umso überraschter zu sein. So etwas tat ich normalerweise nie – ich hasste diese fröhlichen Menschen, die vergnügt vor sich hinsummten oder gar pfiffen. Ich stellte es sofort ein und befahl meinen Stimmbändern, bloß still zu sein.
    Ich war tatsächlich glücklich, ein mir schon unbekanntes Gefühl. Unbeschwert schlenderte ich durch die Flure der Klinik, als wäre es eine Kunsthalle, wo es an jeder Ecke etwas Interessantes zu bestaunen gab. Ich betrachtete die Bilder, als wäre ich nur ein Besucher, ohne jegliche eigene Probleme. Die armen Wichte, die ich durch offene Türen in ihren Betten sehen konnte – bleich, zerzaust, stumm und abwesend, fast alle. Arme, arme Wahnsinnige. Woran merkt man eigentlich, dass man wahnsinnig ist?, fragte ich mich. Wenn es alle sagen? Oder wenn man es selbst glaubt? Ich wusste darauf keine Antwort. Dass alles nur ein Teilfrieden war, den ich mithilfe Uschasniks erreicht hatte, war nur ein Gedanke, die in mir versteckt lauerte.
    Es gefiel mir, den Typ und den Jogginghosenkerl angezeigt zu haben. Und ich hatte meinen Spaß daran, mir vorzustellen, wie sie von den Bullen abgeholt und in enge Einzelzellen gesperrt wurden. Die Aschenwelt war allerdings immer noch da, und mit ihr die Teufel.
    Â»Wie geht’s wie steht’s?«, fragte Anne, als ich in mein Zimmer zurückkehrte. Sie saß auf meinem Bett, und es sah so aus, als hätte sie dort die ganze Zeit nur auf mich gewartet, ohne irgendetwas anderes zu tun.
    Â»Einerseits gut, andererseits nicht«, sagte ich.
    Â»Was habt ihr gemacht?«
    Ja, wie sagte ich ihr das nun. Keine Geheimnisse, das hatten wir uns mal geschworen.
    Â»Ich muss dir etwas erzählen«, begann ich daher. »Von dem Tag, an dem ich hier gelandet bin.« Und ich fragte mich, warum ich das nicht schon längst getan hatte.
    Also berichtete ich ihr, wie ich in dem Kellerverlies gelandet war, nachdem ich nahezu einen Tag damit verbracht hatte, nach ihr zu suchen. Ich erzählte ihr, wie der Typ mit den Zahnlücken mich verkauft hatte, was ich daraufhin durchmachen musste, und wie Kevin mich schließlich rettete. Anne hörte mir mit wachsendem Entsetzen zu.
    Â»Und? Hast du dich bei Kevin bedankt?«
    Â»Nö, noch nicht.«
    Â»Das sollteste aber tun! Und zwar schleunigst. Das ist ja mal ein krasser Kerl.« Sie schien voller Bewunderung für Kevin zu sein. Ich wollte dieses Thema aber nicht weiter vertiefen.
    Â»Uschasnik meinte, dass ich von diesem Erlebnis traumatisiert sei. Aber das haben wir heute aufgelöst – denke ich mal.«
    Â»Cool.«
    Â»Ja. Schon. So irgendwie. Aber die Teufel sind eben immer noch da. Daran hat sich nichts

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