Ascheträume
dort oben stand.
Der Reporter sagte, wahrscheinlich handle es sich dabei um den Attentäter und wenn die Feuerwehr nicht rechtzeitig eingegriffen hätte, hätten die Flammen auch ihn verschlungen.
Charles schüttelte den Kopf, stand vom Tresen auf und nahm die zwei Gläser.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich.
»An dem Ort, von dem ich dir vorher erzählt habe. Das ist nicht nur eine Bar.«
Er ging zu einer Tür, die aussah, als würde sie zur Toilette führen, und bat mich mit einem Kopfnicken, sie zu öffnen. Ein wenig verdutzt drückte ich die Klinke herunter, und wir traten ins Dunkel.
»Mach das Licht an, die Schalter sind hier rechts.«
Ich tastete mit den Fingern über die Wand, sie schien mit Stoff bezogen zu sein. Als ich die Hebel nach oben drückte, wurde der Saal fast taghell.
Ein kleiner Schrei entfuhr mir. Ganz sicher hätte ich hinter der Wand dieser unscheinbaren Bar kein altes Kino erwartet!
»Leider hat es keine Lizenz mehr. Dein Vater und ich waren oft hier«, sagte Charles seufzend und machte mir mit dem Kopf ein Zeichen, weiterzugehen.
Ich schlängelte mich zwischen den Sitzreihen hindurch und betrachtete die große Leinwand. Sie hatte viele Löcher und Stockflecken. Es gab sogar Stellen, an denen der Schimmel merkwürdige Formen bildete – wie wenn man in die Wolken blickte. Es sah fast so aus, als hätten sich die Gesichter der Schauspieler dort abgedrückt.
Die Sitze waren sauber. Der Eigentümer musste sehr an seinem Kino hängen.
»Ich halte hier alles in Ordnung, falls es dich interessiert«, sagte Charles, als hätte er meine Gedanken gehört, und wir setzten uns.
»Es ist wunderschön hier!«
»Das ist mein Versteck. Ich habe es gekauft, als es geschlossen wurde, und habe meinem Freund Gerard die Bar überlassen.«
»Dann gehört das Kino dir?«, fragte ich überrascht.
»Und dir, wenn du willst«, sagte er und überraschte mich noch mehr. »Du und deine Freunde könnt es als Treffpunkt nutzen. Ich habe mir gedacht, dass es euch gefallen würde. Der Projektor ist kaputt, aber wir können ein digitales Gerät kaufen«, fuhr er gestikulierend fort. »Mittlerweile haben die eine ganz gute Auflösung, und wegen der Lautsprecher … Wir könnten ein Konzert veranstalten! Ja, ein Schulfest!«
Ich bremste ihn in seiner Begeisterung. Ich freute mich riesig über die Überraschung, die er mir gemacht hatte, aber jetzt wollte ich endlich über meinen Vater reden.
»Danke, Charles. Das erste Fest hier wird für dich sein. Aber jetzt …«
Charles lächelte melancholisch und fuhr an meiner Stelle fort: »… jetzt willst du etwas über deinen Vater wissen.«
Er gab mir die Cola und nahm einen Schluck von seinem Bier.
»Hier haben er und Julia sich kennengelernt.«
Fast wäre mir die Cola im Hals stecken geblieben.
»Echt? In diesem Kino?«
»Ja, genau hier in diesem Kino – und wahrscheinlich genau hier, wo wir jetzt sitzen.«
Mann! Charles verstand sich auf Überraschungen und Spezialeffekte!
»Und ich war dabei, als es passiert ist.«
»Du warst das dritte Rad am Wagen?« Ich stützte die Arme auf der Sitzlehne vor mir auf und betrachtete die Kronleuchter an der Decke.
»Nein, ich war mit einem Freund oben auf der Empore.«
Erst jetzt merkte ich, dass es hier auch einen Balkon gab.
»Was war mein Vater denn für ein Mensch?«
Charles trank noch einen Schluck Bier. »Hm, was war er für ein Mensch? Ein … ganz besonderer.«
»Das klingt komisch, wenn du es so sagst.«
»Er hatte nicht viel Humor. Und die Frauen lagen ihm nicht gerade zu Füßen. Aber er war faszinierend.«
»Hast du Fotos von ihm?«
Er dachte nach.
»Fotos … Nein, ich glaube nicht. Er ließ sich nicht gern fotografieren.«
Obwohl mich sehr interessierte, was Charles mir erzählte, spürte ich, dass der Schlaf mich überkam. Ich holte die Thermoskanne aus meinem Rucksack und nahm zwei Schlucke Kaffee.
»Und wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Ein gemeinsamer Freund, ein Schriftsteller, hat uns miteinander bekannt gemacht. Wir haben uns auf Anhieb gemocht, wir waren praktisch unzertrennlich. Er war wirklich ein guter Mensch. Und so großzügig.« Charles lachte. »Ich habe dir seine Schwächen nur aufgezählt, um dir zu zeigen, wie wenige es waren.«
»Schwächen machen etwas Besonderes aus einem Menschen«, erwiderte ich.
»Das ist wahr«, stimmte er zu. »Und unsere Eigenheiten lenken unser Leben, sie ziehen uns an und stoßen uns ab.«
Bei diesen Worten kam mir wieder Nate in den Sinn,
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