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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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hohl!«, schwadronierte er wie ein Verrückter. Dann sah er, was er angerichtet hatte. »Ach, ich wollte sowieso umziehen.«
    Er drehte sich zu mir um und sah mich durchdringend an. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Staubwolken wirbelten durch die Halle.
    »Es ist Nebel, verstehst du? Die Materie ist nichts als Nebel. Und was wir Seele nennen, ist nur ein Teil davon …« Er hielt inne und runzelte die Stirn. Die Geste wirkte wie ein stiller Refrain.
    »Aber interessiert dich das wirklich?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »In Naturwissenschaften war ich noch nie ein Genie … Erzähl mir lieber von dir.«
    »Na toll!«, seufzte Ludkar und setzte sich auf das Bettgestell. »Jetzt habe ich hier auch noch eine Psychiaterin!«
    »Vampir-Psychoanalyse«, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln.
    Ludkar leckte sich über die schwarzen Lippen.
    »Von dem ganzen Zeug, das man sich über uns erzählt, stimmt eigentlich nur, dass wir Blut oder lebendes Fleisch brauchen, um unsere Körper zu regenerieren.« Er faltete die Hände und streckte dabei die Daumen aus. »Ich war mal ein Mensch. Ich hatte Angst vor dem Tod. Kaum zu glauben, was? Riesige Angst. Solche Angst, dass ich das Leben nicht genießen konnte. Und das hat mich zu dem gemacht, was ich bin.«
    Ich stieg von dem Fass.
    »Ich werde es schon noch verstehen …«, murmelte ich.
    »So ist es«, sagte er, während ich mich dem Bettgestell näherte. »Durch die Angst habe ich mich verändert, mein Körper hat sich verändert.« Er holte tief Luft. »Ich fürchtete mich so sehr davor, die Welt zu verlassen, dass meine Zellen darauf reagiert haben. Sie haben den Alterungsprozess gestoppt und mir erlaubt, auf der Welt zu bleiben. Wir alle können Vampire werden. Man muss nur Todesangst haben. Es gibt keinen Fluch – außer dem Leben selbst.«
    Ich beobachtete, wie sich sein großer Mund leicht öffnete, während er sprach, und sich seine kleinen spitzen Zähne zeigten.
    »Und deine Zähne …«, sagte ich, während ich mich ihm in kleinen Schritten näherte.
    »Damit sich unser Körper regeneriert, müssen wir Blut saugen oder lebendiges Fleisch essen. Unser Körper verändert sich durch das, was wir essen, er wird zu dem, was wir essen.« Er setzte eine verdrossene Miene auf. »Anfangs, als ich gemerkt habe, dass ich ein Vampir geworden war, habe ich mich nur von Tieren ernährt, es wäre mir nie in den Sinn gekommen, einen Menschen zu essen. Doch dadurch wurde mein Körper dem eines Tieres immer ähnlicher, bis ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte, und so …«
    »… und so hast du Menschen getötet«, sagte ich und setzte mich neben ihn.
    »Genauso war es. Ich habe ziemlich viele Menschen getötet und deren Blut getrunken, dann wurde ich wieder ich selbst. Als mir klar wurde, was ich getan hatte, wäre ich fast übergeschnappt.«
    »Ein wenig ist es dir ja gelungen.«
    Ludkar überhörte meine Bemerkung.
    »Es war ein Teufelskreis, verstehst du? Wenn ich Tiere aß, wurde ich zum Tier und tötete Menschen, und als ich ihr Blut trank, wurde ich wieder zu einem Menschen, und alles fing von vorn an.«
    »Das ist traurig«, sagte ich leise.
    Ich begann zu verstehen, warum er sich so seltsam verhielt.
    »Von diesem Tag an tötete ich nur noch Menschen, die es verdient hatten«, fuhr Ludkar fort, »oder solche, die entweder todkrank oder uralt waren. Ich bin ein Monster«, sagte er kühl.
    »Du bist, wer du bist«, beruhigte ich ihn und legte meine Hand auf seine Hände.
    Sie waren eisig. Er zog sie nicht weg.
    Nun gefiel mir noch weniger, wie Nate ihn behandelt hatte.
    Ludkar war nicht böse. Ja, klar, er führte sich auf wie ein Psychopath, aber im Lichte dessen, wozu sein Körper ihn zwang, konnte ich ihn verstehen.
    »Gibt es viele Vampire auf der Welt?«, fragte ich.
    »Ich glaube nicht. Ich kenne nur deinen Vater. Und Aracmill.«
    »Meinen Vater.« Dem zweiten Namen schenkte ich keine Beachtung. »Wie war das denn damals mit ihm und dir?«
    Ludkar sah mir in die Augen. Man konnte sich wirklich in seinem Blick verlieren. Aus der Nähe betrachtet, ohne das Feuer, das ihn umgab, war er schön und duftete nach Weihrauch. Sein Mund war nicht mehr ganz so Furcht einflößend, sondern fleischig und sinnlich.
    »Wir waren Freunde, als wir noch in Europa lebten. Eines Tages beschloss er einfach so, wegzugehen. Ich weiß nicht, warum er mich alleingelassen hat.« Er ließ den Kopf hängen, und seine langen schwarzen Haare fielen ihm wie sooft ins Gesicht. »Jahrelang habe

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