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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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ich ihn gesucht, ich bin seinem Geruch gefolgt und habe ihn irgendwann in einem alten Schloss gefunden. Ich wollte mit ihm reden, aber er war außer sich wie ein wildes Tier. Auf dem Boden lag die Leiche dieses Jungen. Nate. Dein Vater ging auf mich los, wahrscheinlich ohne mich zu erkennen, und riss mich in Stücke.« Er seufzte tief.
    Ich lächelte, obwohl ich ziemlich bekümmert war. Mein Vater schien im Lauf seiner Existenz nur Leid verursacht zu haben. Unter dem Vorwand, von sich selbst zu erzählen, hatte Ludkar mir verraten, was mit Nate passiert war. Er hatte Wort gehalten. So intelligent, wie er war, war ihm das bestimmt nicht zufällig rausgerutscht.
    »Ich verstehe jetzt, wieso du so reagiert hast, als du seinen Geruch wahrgenommen hast. Also, meinen Geruch …« Ich wandte den Blick ab.
    »Deine Augen«, sagte Ludkar und strich mir über die Wangen, ohne dass ich es spürte. »Deine violetten Augen.«
    Mein Gesicht wurde kalt, gleichzeitig aber fühlte ich Wärme an meinem Hals. Es war angenehm. Wir blickten uns wieder an.
    »Sie bestehen aus demselben Stoff wie das Leben. Wie die Blumen.« Er strich mir mit den Fingern über die Lippen. »Ich habe noch nie ein Dämmerwesen kennengelernt. Im Gegensatz zu uns Vampiren hast du die Kraft des Lebens in dir. Du kannst hinter die Grenzen des Todes blicken, ohne Angst zu haben. Und dank dieser Gabe kommst du ins Cinerarium, wie ich durch das Feuer in die reale Welt komme.«
    Ein Schauer durchfuhr mich wie ein Sturm am nächtlichen Himmel.
    »Du gehst durchs Feuer?«, fragte ich.
    Ich war so schockiert, dass ich gar nicht merkte, wie sanft er geworden war.
    »Ja, durch die Flammen des Kamins. Aber es klappt nur beinahe. Der Körper, der in der wirklichen Welt auftaucht, ist nur ein Schein, er ist aus Asche.«
    »Aber ich«, sagte ich, ohne vor ihm zurückzuweichen, »habe deinen Körper noch gar nicht gefunden. Warum hast du mir trotzdem verraten, wie du zwischen den Welten hin und her reist?«
    Ludkar neigte den Kopf, es war eine zärtliche Geste.
    »Vielleicht ist es besser, wenn du deinen Vater nicht suchst. Er könnte gefährlich sein«, sagte er mit einer menschlicheren Stimme. »Als ich dich das erste Mal sah, war ich – wie soll ich sagen? – verzaubert. Ich bin jahrhundertealt, aber ich habe noch nie eine Frau wie dich getroffen. Und im Schloss war ich … eifersüchtig auf Nate. Ich habe niemanden.«
    »Ich bin dir nicht böse«, sagte ich freundlich.
    Wahrscheinlich hatte er mehr als alle anderen, mehr noch als Nate, unter dem Schrecken und der Einsamkeit dieser Welt gelitten.
    Ludkar rührte sich eine Weile lang nicht, dann nahm er meinen Kopf in die Hände und küsste mich. Einfach so.
    Ich riss die Augen auf. Mir blieb die Luft weg. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet! Ich hörte einen lauten Knall und spürte, wie sein kaltes Gesicht mich wie ein Winterwind mit sich riss. Ich erwiderte seinen Kuss nicht, aber ich hatte auch keine Zeit, ihn daran zu hindern. Er war alles andere als unangenehm. Ich spürte seine spitzen Zähne nicht, ich spürte nur seine Arme, die mich sanft drückten, und schmeckte ein würziges Aroma.
    Ich hielt die Luft an. Als er zurückwich, sah er in mein noch immer erstarrtes Gesicht.
    »Entschuldige«, sagte er leise.
    »Schon gut.«
    Doch die Unruhe, die er in mir ausgelöst hatte, wurde immer größer. Langsam stand ich von dem Bettgestell auf.
    »Ich … ich muss jetzt gehen«, sagte ich, als ich wieder Luft bekam.

Mit Mühe schlug ich die Augen auf. Was gerade im Cinerarium passiert war, hatte mich zutiefst verstört.
    Ich war nicht mehr im alten Kino, sondern in Charles’ Wagen. Meine Freunde mussten mich getragen und auf den Rücksitz gelegt haben, während ich noch geschlafen hatte.
    Ich massierte mir den Hals und blickte mich um. Ich war allein, der Wagen stand in der Auffahrt vor Charles’ Villa. Ich stieg aus und ging am Haus vorbei zur Garage. Das Tor war offen. Drinnen standen, zwischen allen möglichen Gerätschaften und Werkzeugen, Leo, Christine und Charles an einer Werkbank. Charles musste ein leidenschaftlicher Bastler sein. Sogar ein Motorrad lehnte unter einer Plastikplane an der Wand.
    Christine drehte sich um. »Ha, da ist ja unser Dornröschen aus dem Iris-Wald!«
    Ich trat zu ihnen an die Werkbank und sah, dass Charles die Schatulle in eine Schraubzwinge geklemmt hatte.
    »Vielleicht sind wir bald so weit«, sagte er und steckte ein paar Eisenstäbe in das Schloss.
    Er hantierte eine Weile

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