Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
liefert Amazon nicht so weit nach Osten.«
»Kalkutta ist quasi auf Büchern gebaut.«
Jetzt, da John es erwähnte, bemerkte Ash es auch. In dieser Stadt gab es tatsächlich eine Menge Buchläden – auch im Augenblick standen sie vor einem.
Kalkutta war eine berühmte Gelehrtenhochburg mit vielen großen Universitäten, das wusste Ash. Und Universitäten brauchten Bücher. Er spähte in das Schaufenster. Das Glas war so verstaubt, dass man vom Laden dahinter kaum etwas erahnen konnte. Einige Bücher hinter der Scheibe waren vor Alter und Sonne bereits vergilbt und die Ecken ihrer Seiten kräuselten sich.
»Sieht aus, als hätte sich hier in den letzten zweihundert Jahren nichts verändert«, meinte Ash. »Ich wette, Savage hat hier sein erstes Hindi-Englisch-Wörterbuch gekauft.«
»Ganz genau.« John lächelte und öffnete die Tür. »Los, komm mit.«
Das Geschäft roch feucht und modrig. So viel Papier und so viel Regen vertrugen sich nicht. Auf einem Tisch direkt neben dem Verkaufstresen standen einige Bestseller, allesamt penibel in Plastik verpackt, damit sie keinen Schaden nahmen.
Die Regale bestanden aus dunklem Holz und waren von oben bis unten vollgestopft mit Büchern. Ein Einheimischer drehte einen quietschenden Zeitungsständer und inspizierte die politischen Broschüren darin. Ein Student blätterte summend durch einige dicke Fachbücher über Ingenieurswissenschaft.
»Was wollen wir hier?«, wunderte sich Ash.
John ging zur Theke. Hinter einer altmodischen Kasse saß eine Frau in einem orangefarbenen Sari, vertieft in irgendeine fantastische Liebesschnulze mit schwarz-rotem Cover.
»Entschuldigen Sie, Miss, aber haben Sie auch Karten? Alte Karten?«, frage John.
»Von wo?«
»Dem alten Kalkutta.«
Die Frau legte ein Bändchen in ihr Buch, bevor sie es zuschlug und im hinteren Teil des Ladens verschwand. John und Ash folgten ihr.
»Wozu soll das gut sein?«, fragte Ash.
»Wann war Savage das erste Mal in Kalkutta?«
»Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Ostindien-Kompanie das Sagen hatte.«
»Na dann überleg doch mal, Ash.«
»Okay, nehmen wir einfach mal an, dass ich keinen Plan habe, wovon du redest. Das würde es leichter machen.«
Die Verkäuferin berührte einen Stapel Papiere. »Hier, bitte schön.«
John begann, die Seiten auf einem Tisch auszubreiten, und schob Bücher beiseite, um die Karten behutsam ordnen zu können. »Savage kennt sich im modernen Kalkutta nicht aus, oder?«
»Vermutlich nicht. Er ist erst vor Kurzem zurück nach Indien gekommen. Das letzte Jahrhundert hat er im Fernen Osten verbracht.«
»Wäre es da nicht logisch, wenn er irgendwo hingeht, wo er sich auskennt?« Immer schneller drehte John eine Karte nach der anderen um.
»Ein Ort, den es damals schon gegeben hat?«
»Ganz genau.« Über einer Karte hielt John inne und beugte sich dicht darüber, um den blassen Kupferstich entziffern zu können. »Wir müssen eine Karte von rund 1850 mit unserer vergleichen. Was wir brauchen, ist eine Karte vom alten Kalkutta, nicht von dem von heute. Dann finden wir heraus, welche Orte auf beiden eingetragen sind.«
Schnell faltete Ash die aktuelle Karte auseinander, die sie bisher benutzt hatten. Darauf waren alle 153 möglichen Orte rot markiert. Nur die Hälfte hatten sie bisher überprüfen können.
»Das hier ist die richtige«, stellte John fest.
Die Karte in seiner Hand war 1849 gedruckt worden. Damals hatte Kalkutta nur einen Bruchteil der heutigen Größe gehabt, dennoch erkannte Ash den geschlängelten Fluss Hugli, das achteckige Fort William, den ordentlich angelegten botanischen Garten und den Haupttempel Kalis. Die Paläste von ortsansässigen Herrschern waren darin ebenso verzeichnet wie die verschiedenen Militärgelände, auf denen die Truppen der Ostindien-Kompanie gelebt hatten, um deren politische und wirtschaftliche Interessen zu vertreten.
Die Karten waren nicht im selben Maßstab und die ältere hatte nicht die Detailgenauigkeit wie die von Ash. Doch indem sie den Fluss, das Fort und den Tempel als Orientierungspunkte verwendeten, konnten sie schnell erkennen, welche Orte in beiden Karten vorhanden waren. Einige hatten sie bereits überprüft, andere als äußerst unwahrscheinlich abgehakt, weil sie für Savages Zwecke viel zu öffentlich und ungeschützt waren. Doch einer …
»Die Garnison.« Ash zeigte auf ein großes Rechteck am Rand der Stadt. »Hier.«
In Indien benutzte man das Wort »Garnison« nach wie vor für große,
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