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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Ludewig
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ich je für möglich gehalten hätte. Es sieht so aus, als müsste ich meinen Begriff von Realität erheblich weiter fassen.«
    »Wie kam sie nur nach oben?«
    »Das zumindest wissen wir. Mit dem Lastenaufzug.«
    »Aber was wollte sie überhaupt im zweiten Stock? Noch dazu mitten in der Nacht?«
    »Ich habe lange aufgehört, mich über die Motive meiner Schwester zu wundern, Steerpike.
Was
sie will, zählt, nicht,
warum
sie es will.«
    Es entstand eine Gesprächspause, in der beide ihren eigenen Gedanken nachhingen.
    Steerpike ergriff als Erster wieder das Wort. »Halten Sie es für möglich, dass   …«
    »Sagen Sie’s ruhig, Steerpike.«
    »Lassen Sie es mich so formulieren: War Ihre Schwester in letzter Zeit niedergeschlagen, hatte sie möglicherweise Depressionen?«
    »Sie meinen, ob sie sich das Leben nehmen wollte? Dazu hätte sie kein englisches Spukhaus gebraucht. Wir haben genug Morphium, um ganz St. Just auszurotten.«
    »Ich dachte nur.«
    »Wenn mir je ein Mensch mit einem unverwüstlichen Lebenswillen begegnet ist, dann Lucille. Sie hat sich immer lustig gemacht über Menschen mit Depressionen. Sie konnte überhaupt nicht nachvollziehen, dass jemand trauert und leidet, scheinbar grundlos.«
    »Aber ihre Krankheit   – wäre sie nicht Grund genug? Wie hat sie sich ihr weiteres Leben vorgestellt? Sie muss doch angenommen haben, dass ihre Karriere vorüber ist.«
    »Traurig war sie jedenfalls nicht. Sie war wütend, aber das ist sie ja immer. Ich glaube, Wut erleichtert einem das Leben. Aber ehrlich, Steerpike, diese Fragen bringen uns nicht weiter. Das war kein Selbstmordversuch. Sie wusste nicht, worauf sie sich einlässt.«
    Steerpike hüstelte und rutschte auf seinem Stuhl herum.
    »Was ist los?«
    »Ich glaube, sie wusste sehr genau, worauf sie sich einlässt.«
    »Und wieso glauben Sie das?«
    »Sie hat die Bilder von unserem Ausflug in den zweiten Stock gesehen.«
    »Aber warum ist sie dann nicht in den Dunklen Raum gegangen, sondern in das Turmzimmer?«
    »Haben Sie nicht mitbekommen, womit sie sich in den vergangenen Tagen befasst hat?«
    »Morphium?«
    »Sie wissen nicht, worum es in den Aufzeichnungen Ihrer Schwester geht?«
    Laura war perplex. Nichts hatte sie weniger interessiert als die Notizen ihrer Schwester. Sie griff nach einer Marlboro-Schachtel, zog eine Zigarette heraus und wartete, bis Steerpike ihr Feuer gegeben hatte. »Sagen Sie es mir.«
    In diesem Moment öffnete sich die Küchentür, und Rose Marsh trat ein. Sie bedachte beide mit einem skeptischen Blick, grüßte höflich und schaltete den mitgebrachten Mini-Fernseher an. Miss Marsh hatte ihre eigene Methode gefunden, mit den Geistern von Ashby House umzugehen: Frühstücksfernsehen.
    Das Gespräch über Lucilles Recherchen wurde bis auf Weiteres verschoben   – ein einvernehmlich und stillschweigend gefasster Entschluss, der Laura und Steerpike in diesem Augenblick zu Verschwörern machte. Vorerst sollte die Welt nichts vom Verschwinden einer ihrer berühmtesten Fotografinnen erfahren.
     
    Während Rose Marsh sich in der Küche zu schaffen machte, besprachen Steerpike und Laura das weitere Vorgehen. Oder eher die Vermeidung jeglichen weiteren Vorgehens.
    »Sollten wir die Polizei einschalten?« Steerpike schien selbst nicht von dem Gedanken begeistert zu sein.
    »Und mit was für Informationen? ›Zuletzt sahen wir Lucille Shalotts Schal im Turmzimmer von Ashby House. Er war im Begriff, sich vor unseren Augen in Nichts aufzulösen. Dann schlug die Tür zu und wurde von einer unsichtbaren Macht verschlossen. Nein, danke, Officer, ich brauche keine Therapie, die habe ich schon hinter mir, ich komme aus Kalifornien.‹«
    »Aber wir müssen doch irgendetwas tun!«
    »Haben Sie eine Ahnung, was passiert, wenn nur irgendjemand außer uns beiden Wind davon bekommt, dass Lucille verschwunden ist? Es dauert eine halbe Stunde   – ach, was sage ich   –, zehn Minuten, dann weiß es die Presse. Und damit nicht genug, Steerpike.«
    Sie fasste ihn an der Schulter und führte ihn durch die Halle, bis die beiden vor dem großen, hässlichen Spiegel anlangten. Ihre Spiegelbilder schauten sie aus übernächtigten Augen an. »Noch eine halbe Stunde später haben sich Vertreter der wichtigsten Nachrichtenagenturen vor der Tür eingefunden. Und nicht nur die. Auch die der unwichtigen. Paparazzi, Schaulustige. Jeder Schritt aus dem Haus, jeder Besucher,den wir empfangen   – ein Spießrutenlauf ist eine Pyjama-Party im Vergleich

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