Ashby House
staats- und monarchietreue Frauen und Männer, die heroisch ihr Leben aufs Spiel setzten, wenn alle anderen Methoden versagt hatten.
Man hatte versucht, Ashby House in Frieden zu betreten. Selbst Drohungen hatten keine Resultate erbracht. Nun, damit Lorna Eckels das erste nachgewiesene Todesopfer zu beklagen war, galt es, nicht länger zu zögern. Es blieb nur noch die letzte Konsequenz. Der Sturm.
Während vor Ashby House Stellung bezogen wurde, tagten in London die Krisenmanager, um einen Schlachtplan zu entwickeln.
Anders als bei großen Geiselnahmen mit mehr als einem Dutzend Geiseln stand hier nicht fest, wie viele Menschen von wie vielen Geiselnehmern in Schach gehalten wurden. Man ging von zwei dringend Tatverdächtigen – Laura Shalott und Steerpike – und mindestens zwei Geiseln – Lucille Shalott und Stephen Steed – aus. Wenn es zu einem Übergriff käme, wäre es zwei oder auch nur einem Täter ein Leichtes, eine oder mehrere Geiseln zu opfern. Aufgrund des geringen Gefangenenaufkommens war das prozentuale Opferaufkommen sehr hoch – so etwas würde sich in der Statistik (und in der Zeitung) nicht gut machen. Hinzu kam, dass beide Geiseln über ein hohes Maß an Popularität verfügten – ein weiterer Aspekt, der die Koordination des Sondereinsatzes auf eine harte Probe stellte. Käme es zu Opfern, dann wären diese keine rein statistischen Werte, sondern weltbekannte Schicksale, die man auf immer und ewig mit dem Misserfolg des Sonderkommandos in Verbindung bringen würde. So hart es klang: Wären bei der Befreiung eines mit achthundert Menschen besetzten Theaters ein Dutzend Opfer zu beklagen, dann wäre die öffentliche Akzeptanz für das Scheitern des Übergriffs größer, als wenn nur eine einzige der Geiseln auf Ashby House zu Schaden käme. Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen verzögerte sich die strategische Planung des Übergriffs nicht unerheblich. Es waren Minuten, für die Laura und Steerpike dankbar waren.
In all dem Tumult, der auf der Römischen Straße in Richtung St. Just herrschte, beachtete niemand die Gemeindesekretärin Kathy Claighbourne, die mit gerunzelter Stirn und angespannten Schultern verloren umherwanderte und auf ihre freundlich-reservierte Art Blickkontakt suchte. Vielleicht lag es an ihrer verträumten Ausstrahlung, vielleicht an ihrer kindlichen Statur, die von ihren hüftlangen Haaren noch betont wurde – sie wurde schlicht übersehen.
Kathy Claighbourne wurde langsam ärgerlich, denn sie hatte das Bedürfnis nach einem Ansprechpartner, wusste aber nicht, für wen die Informationen, die sie bei einem starken Tee im »Star Inn« aus dem Briefwechsel zwischen den Ashbys und der Gemeindeverwaltung bezogen hatte, von Belang waren. In ihrem Inneren spürte sie, dass diese Fakten brisant waren, dass sie möglicherweise mit den gegenwärtigen Vorfällen im Haus in Verbindung standen und dass Laura Shalott die geeignete Empfängerin der Botschaft war, schließlich hatte sie den Ball überhaupt erst ins Rollen gebracht. Doch wenn schon die Armee daran scheiterte, das Haus zu betreten, wie sollte dann Kathy Zutritt bekommen?
Sie spielte kurz mit dem Gedanken, sich an einen der Befehlshaber zu wenden, doch ihre Schüchternheit hielt sie davon ab. Zudem hatte sie das Gefühl, dass die Informationen und Beweise, die sie in einer Einkaufstüte mit dem Aufdruck des Kaufhauses Harrod’s bei sich trug, besser nicht in die Hände von Regierungsvertretern geraten sollten, da sie nicht von ungefähr im Keller der Gemeindeverwaltung einen Dornröschenschlaf gehalten hatten. Möglicherweise wäre das Material bei den Medien besser aufgehoben. Doch für welches Medium sich entscheiden, wenn dessen Protagonisten, aufgescheucht von der Staatsmacht, fluchend und ihre festgesprühten Frisuren mit teuer behandschuhten Händenschützend, wie vom Weg abgebrachte Lemminge umherirrten, laut ihren Missmut über die rohe Behandlung kundtuend? Für die emsige Sekretärin hatte niemand ein Auge. Und so verstrichen weitere wichtige Minuten, in denen der Feind in Laura und Steerpike vermutet wurde und nicht in den Adern und Gliedmaßen von Ashby House.
Dass Kathy Claighbourne im Begriff war, eines der spektakulärsten Geheimnisse von Ashby House aufzudecken, stand jedoch in keinerlei Zusammenhang mit dem Verhalten, welches das Haus binnen der nächsten Stunden an den Tag legte. Dieses Verhalten gründete sich auf ein ganz anderes Mysterium, dessen
Weitere Kostenlose Bücher