Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
seine Abdeckung verloren hatte und aussah wie ein aus Spielzeugklötzen errichteter Turm, der bei der leisesten Berührung einstürzen würde. Ein niedriger Brennholzstapel war vor einem eingezäunten Rechteck, wahrscheinlich dem Gemüsegarten, aufgeschichtet. Ein Spalthammer lehnte an einem Stapel unbearbeiteter Meterstücke. Links vom Garten schimmerte die Windschutzscheibe eines Lasters aus einem Schneehaufen, und am Ende eines gewundenen Pfads standen drei mülltonnengrüne Dixiklos.
Mehrere Wirtschaftsgebäude drängten sich jenseits einer lang gezogenen freien Fläche – wahrscheinlich eine Straße, die zu der Farm führte, aber seit Monaten nicht mehr benutzt worden war. Eine der beiden Scheunen, grau und mit Spitzdach, hatte offenbar auch schon bessere Zeiten gesehen; die südwestliche Ecke des Dachs war eingestürzt. In einer schneebedeckten Koppel beugten sich ein einsames Pferd und eine Kuh über eine alte weiß emaillierte Badewanne, während drei Ziegen und sechs Hühner rings um einen Steintrog nach Futterresten suchten. Links von der halbverfallenen Scheune standen ein viel kleinerer Stall mit Schiebetüren und ein längeres, niedriges Betongebäude in Nordsüdrichtung mit einer Art Futtersilo. Daneben drängten sich fünf riesige Schweine in einem Freiluftpferch. Drei weitere Pferche waren leer, der Schnee unberührt.
Auf seinen Schneeschuhen balancierend nagte er an seiner Unterlippe und dachte nach. Die Kings waren die Letzten auf Jeds Liste. Bisher hatte er Menschen gemieden … Na ja, die Chuckies zählte er nicht dazu. Vielleicht wäre es also ratsam, wenn er einen Bogen um diese Leute machte, sich wieder in den Wald zurückzog und dort die Nacht verbrachte.
Aber die Tiere konnten nicht mehr. Für Raleigh gab es nur noch eine Handvoll Trockenfutter. Das Futter für Dixie war seit zwei Tagen alle. Er hatte Rinde für sie geschält und im Schnee gegraben, bis er an umgestürzten Bäumen Moos fand, das er von den Stämmen riss, aber Dixie hatte nur wenig davon gefressen. Heute war sie gestolpert und hatte sich am linken Vorderbein vom Knie bis zur Fessel die Haut aufgerissen. Er hatte zwei Rollen Verbandmull und eine elastische Binde gebraucht, ehe die Blutung aufhörte.
Mein Gott, aber er war so nah dran! Beinahe schon zum Greifen nah. Alex zu finden wäre ein gutes Omen. Ein Neuanfang. Nicht so sehr Wiedergutmachung, sondern ein Ja zu seinem Schicksal. Vielleicht würden mit Alex die Träume schließlich verschwinden. Er musste zu ihr. Jede Verzögerung, egal aus welchem Grund, kam ihm wie ein Fehler vor.
Wenn er an diese Tür klopfte, würde er wieder bei jemandem in der Schuld stehen, ohne sie je begleichen zu können. Es wäre nicht richtig, von diesen alten Leuten Essen und Futter anzunehmen und ihnen dafür nichts zurückzugeben. So wie die Farm aussah, konnten sie Hilfe gebrauchen. Also wäre wieder ein Tag dahin. Vielleicht auch zwei. Oder noch mehr. Verlorene Tage. Weg. Einfach so.
Er könnte egoistisch sein. Mein Gott, hatte er es sich nicht verdient? Aber die Tiere mussten sich ausruhen. Er fuhr sich mit dem Handschuh über die rissigen Lippen. Sie mussten tun, was er wollte – und gerade er wusste nur zu gut, wie man sich dabei fühlte. Es wäre nicht richtig, sie noch weiter vorwärtszutreiben.
Wenn sich Dixie so weit erholt, dass ich sie reiten kann, könnte ich doch die verlorene Zeit wieder reinholen, oder? Es sind ja nur ein paar Tage.
»Na schön, ihr beiden«, sagte er und griff nach Dixies Zügeln. »Sagen wir mal Hallo.«
In dem Moment, als Tom an die Eingangstür klopfte, ruckte Raleighs Kopf nach links. Tief aus seiner Brust drang ein Knurren. Tom sah sich um und merkte, wie an der baufälligen Scheune mit dem Steinsilo etwas Orangefarbenes vorüberhuschte.
»Komm schon, alter Junge«, sagte er zu dem Hund. »Ist doch nur eine alte Scheunenkatze.«
Dann ging die Tür auf, und ein Schwall warmer Luft kam ihm entgegen, der nach gebratenen Zwiebeln und nach Gärung und Hefe roch, vielleicht wurde da Brot gebacken oder Bier gebraut, und er vergaß die Sache.
Ein großer Fehler.
53
W ade Kings Leidenschaft galt den Schweinen. Am Nachmittag des zweiten Tages, einem Montag, wusste Tom mehr über Schweinezucht, als ihm lieb war.
»Die letzten Jahre waren nicht besonders gut für den Schweinefleischmarkt.« Wade King war ebenso rundlich wie seine Berkshire-Tiere und hätte seinen Bauch gut in einer Schubkarre spazieren fahren können. Er kippte eine Fuhre Mais und
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