Ashes - Pechschwarzer Mond (German Edition)
erfassten eine andere Wirklichkeit. Richteten sich auf ihn.
»Tom.« Es klang verwundert, fragend, und obwohl es nur ein Wispern war, hörte er es ganz deutlich, denn jetzt hatte er sie wirklich erreicht, nichts und niemand trennte sie mehr voneinander. Es war der Anfang der Ewigkeit. »Tom?«
Er sehnte sich danach, ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen, ihre Nähe auszukosten. Stattdessen schlug die Welt mit voller Wucht zu, die Zeit tickte weiter, und Schüsse, Schreie, der Lärm der Menschen und der Veränderten und die tobende Schlacht ringsum kehrten in sein Bewusstsein zurück.
»Alex, wir müssen hier weg, jetzt sofort! In fünf Minuten fliegt alles in die Luft, vielleicht schon früher.« Er wälzte sich zur Seite, half ihr auf, packte sie am Arm. Auf dem Platz waren überall Pferde, und sie brauchten nur eins. »Komm, komm!«
»Warte!« Sie warf einen hastigen Blick zurück und stieß einen keuchenden Schrei aus: »Nein, nein, Peter, Peter! «
Als er die Schreie und Schüsse hörte, wäre es Chris nicht im Traum eingefallen umzukehren. Vielmehr trieb er Night noch mehr an. Diesen Konflikt würde er nicht meiden, diesem Kampf nicht aus dem Weg gehen. Wenn es jemals einen richtigen Moment gab, um den Hammer aufzuheben, dann jetzt.
Sie näherten sich von der nordöstlichen Ecke, waren noch hundert Meter von der Kirche entfernt. Jetzt konnte Chris das Schlachtengetümmel sehen, die Flut von Veränderten, die Finns Männer überrollte. Von nichts und niemandem mehr gebremst, rissen sie Menschen in Stücke, wühlten mit beiden Händen in klaffenden Wunden und zerrten Eingeweide heraus. Der Platz war ein Meer aus Leichen, Körperteilen und Blut. Und noch immer standen alte Leute da – die Vergangenheit umarmte ihre missratene Zukunft. Chris sah eine Frau mit wildem grauen Haarschopf, die auf einen grobschlächtigen Kerl zurannte: »Lee, Lee, Lee!« Lee schloss die alte Frau – Travers , dachte Chris, sie heißt Travers und werkelt gern im Garten – in seine mächtigen Arme, riss sie von den Beinen und wirbelte sie herum, beinahe als freute er sich. Als Lee seine Zähne in den Hals seiner Großmutter grub, war der Ausdruck auf ihrem Gesicht der einer schrecklichen letzten Ekstase.
»Schau!« Greg deutete auf das Gemeindehaus. »Auf der Treppe!«
Chris folgte seinem Blick – und erschrak. Auf der Treppe wimmelte es von Veränderten, die rauften und kämpften und Körper zerfetzten. Der Leibesfülle nach zu urteilen, war einer der Toten Ernst. Und sein eigener Großvater? Er konnte Yeager nirgends entdecken. Allerdings sah er auf dem Treppenabsatz jemand anderen aus den Wogen des Schlachtengetümmels herausragen: Tom.
Tom war blutdurchtränkt, er sah aus, als wäre er in einen großen Eimer mit roter Farbe gefallen. Und er wankte, denn er trug jemanden im Gamstragegriff auf den Schultern. In der freien Hand hielt er eine Pistole und versuchte sich seinen Weg freizuschießen. Neben ihm stand Alex, mit einer schwarzen Schrotflinte; Chris erkannte sie sofort. Und dann war da … mein Gott, war das ein Hund? Wo kam der denn her? Das Tier war riesig, sein weißes Fell blutbesprenkelt, und es knurrte und griff sofort jeden Veränderten an, der sich in seine Nähe wagte. Toms Gewehrholster baumelte von Alex’ rechter Schulter. Jetzt schnappte sie sich eine große grüne Leinentasche, hängte sie sich über die linke Schulter und rief Tom etwas zu, dann wirbelte sie herum zu einem veränderten Jungen, der Tom aus dem toten Winkel attackieren wollte. Die Flinte in ihren Händen krachte ohrenbetäubend, und der Veränderte kippte mit ausgestreckten Armen hintenüber. Rasch warf sie einen Blick nach rechts, Chris sah die Bewegungen ihrer Lippen und verstand, was sie sagte: Los jetzt! Allerdings wusste er nicht, wem sie das zurief, und plötzlich war das auch ganz und gar unwichtig für ihn, denn er erkannte, dass die Person auf Toms Schultern einen weißen Anzug trug, der sich zunehmend rot färbte. Und wo das wallende Haar nicht goldblond war, schimmerte es rostbraun.
Peter. »Nein! Alex! Tom!« Chris trieb Night an, tauchte in die Menge ein, brach sich Bahn. Zwischendrin schnappte er sich die Zügel eines stampfenden, reiterlosen Rotschimmels und dachte dabei zornig: Setz ihn auf ein Pferd, bring Peter zu Kincaid, weg, weg, weg! Die Entfernung zu ihnen zu überwinden, war, als würde man in einem Boot mit einem Suppenlöffel gegen die stürmische See anrudern. Der Rotschimmel scheute und schnaubte, und
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