Ashford Park
braune Staubmantel ihrer Mutter, der immer noch schwach nach ihr roch, nach Seife und Flieder. Addie machte sich ganz klein zwischen dem Stiefelknecht und einer Garnitur alter Feuerhaken, die irgendwann einmal jemand zum Richten bringen wollte und vergessen hatte.
Sonst verwandelten sich diese Feuerhaken immer in ein Fallgatter einer Ritterburg und manchmal in ein Gartentor, aber heute entzogen sich ihr diese Phantasiewelten. Camelot mit seinen flatternden Bannern, der verborgene Garten der Hesperiden mit seinen goldenen Früchten, der Goblin-Markt mit den gackernden, glucksenden, Fratzen schneidenden Kobolden – alles war kalt und tot. Die Arme um die Knie geschlungen, drückte sie die Augen fest zu und versuchte, so zu tun, als wäre sie nicht da.
Sie wollten sie hier wegholen, hatte Fernie gesagt. Eine Tante und ein Onkel, die sie nicht kannte, die an einem Ort lebten, von dem sie noch nie gehört hatte.
«Es wird dir dort gefallen», hatte Fernie unter Tränen gesagt, während sie Addies Sachen packte: Stiefel, Trägerschürzen und, ganz obenauf, wo sie das Büchlein leicht erreichen konnte,
Die Geschichte von Frau Tiggy-Wiggel
. Addie hing sehr an Frau Tiggy-Wiggel. «Da hast du Cousinen, mit denen du spielen kannst. Das wird bestimmt lustig.»
«Ich will aber lieber bei dir bleiben», hatte Addie gesagt und ihre Arme fest um Fernies Taille gelegt.
Fernie hieß eigentlich Miss Ferncliffe und war ihre Gouvernante, aber sie hatte überhaupt nichts Gouvernantenhaftes an sich. Sie schrieb Gedichte und las sie manchmal Addie vor, obwohl sie das meiste davon nicht verstand. Doch Addie liebte die Melodie von Fernies Stimme und die Art, wie sie den Kopf leicht schräg hielt, wenn sie las. Fernie war erst zweiundzwanzig und sehr hübsch mit ihren langen roten Haaren. Sie türmte sie in Rollen und Schnecken auf ihrem Kopf und hatte versprochen, Addie zu zeigen, wie man das machte, sobald sie alt genug dazu war. Ihre Kleider hatten Spitzenrüschen und unten Volants, und sie roch immer nach Rosenwasser. Wenn sie groß war, wollte Addie einmal genauso werden wie sie.
«Das möchte ich auch», sagte Fernie liebevoll. Der Volant ihres Kleides wischte raschelnd über den Holzfußboden, als sie vom Waschtisch zum Bett ging, um Addies Kamm und Bürste einzupacken, die mit ihren Initialen. «Aber wo sollte ich dich unterbringen?»
«Wir könnten doch hierbleiben. Ich werde Wäscherin wie Mrs. Tiggy-Wiggel.»
«Ach, Liebchen.» Fernie drückte sie an sich, ihre Lippen streiften Addies Haar. «Du kannst doch nicht mal deine eigenen Schürzen richtig sauber halten. Wie willst du’s da bei denen von anderen Leuten schaffen?»
Addie biss sich auf die Unterlippe und knüllte vorn ihre Trägerschürze zusammen, um die verräterischen Flecken zu verbergen. «Ich geb mir mehr Mühe.»
Aber Fernie war unerbittlich geblieben. Sonst ließ sie sich immer irgendwie erweichen, aber in diesem Fall nicht. Addie werde von ihrer Tante und ihrem Onkel abgeholt werden und müsse mit ihnen fahren und ein braves Kind sein und
immer daran denken, dass ich dich lieb habe
, hatte Fernie gesagt,
und dass deine Mutter und dein Vater dich auch lieb gehabt haben
.
Wenn sie sie lieb gehabt hatten, warum waren sie dann gegangen?
Es war ein Omnibus gewesen, hatten sie gesagt, der plötzlich um die Ecke gekommen war. Es war eine dunkle und regnerische Nacht, und Addies Eltern waren auf dem Nachhauseweg von einem Konzert, beide unter einem Schirm, die Köpfe gesenkt. Sie hatten beschlossen, lieber zu Fuß zu gehen, als eine Droschke zu nehmen. Typisch für die beiden, meinten alle. Ebenso typisch für sie, dass sie sich viel zu angeregt unterhielten, um auf ihre Umgebung zu achten und das Fahrzeug zu bemerken, bevor es sie erfasste.
Vater war sofort tot gewesen; Mutter hatte noch lang genug gelebt, um ins Krankenhaus gebracht zu werden, aber nicht lang genug, um Addie noch einmal zu sehen. Als man es Addie sagte, war alles vorbei. Sie waren beide tot. Alle waren sich einig, dass sie nicht zur Beerdigung kommen solle, das sei zu viel für ein Kind ihres Alters. So hatte sie zu Hause gesessen und in den Regen gestarrt, der aus dem weinenden Himmel strömte, während die Köchin in ihre Töpfe schluchzte und Mary, das einzige Hausmädchen, hin und her rannte und den Freunden von Mutter und Vater, die Abschied nehmen wollten, Tee und Gebäck servierte.
Das war gestern gewesen. Jetzt war das Haus wieder leer, kalt und leer. Mutters Papiere lagen noch
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