Ashford Park
Finger unter ihr Kinn und sah sie mit seinen grünen Augen eindringlich an. «Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Nicht bei mir.»
Stumm erwiderte sie seinen Blick, wagte nicht zu atmen, zu zwinkern oder sich irgendwie zu bewegen, weil sie Angst hatte, den zarten Zauber dieses Moments zu brechen. Sie spürte das Knistern zwischen ihnen so intensiv, als wäre das ganze Zimmer plötzlich mit Elektrizität aufgeladen. Atemlos wartete sie darauf, dass er sich vorbeugen würde, um –
«Hallo, du hast mir gar nicht gesagt, dass wir Besuch haben.» Eine Stimme durchschnitt die Stille.
Addie sprang zurück. Frederick senkte die Hand und trat zurück. Plötzlich war er so fern, als wäre er auf dem Mond. Es kam ihr vor, als hätte sie sich alles nur eingebildet, seinen Blick, seine Nähe, als wenn alles nur wie aus einem Roman oder einem besonders lebhaften Tagtraum war.
Bea stand an der Tür, kühl und elegant, eine Augenbraue leicht hochgezogen, die lange Zigarettenspitze zwischen den Fingern. Der dünne Rauchfaden schien ein Fragezeichen in die Luft zu ziehen.
Addie spürte, wie sie rot anlief. «Oh, Bea, das ist, ich meine …»
Es war absurd, dass sie sich fühlte, als wäre sie bei etwas Verbotenem ertappt worden, wenn es doch gar nichts gab, wobei sie hätte ertappt werden können.
«Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?» Bea trat ins Zimmer und musterte Frederick unverhohlen. Dann hob sie die Hand mit der Zigarettenspitze. «Ich weiß, bei Oggie’s.»
Frederick wich ihrem Blick aus. «Daran würde ich mich sicherlich erinnern.»
Bea antwortete mit einem kehligen kleinen Lachen. «Sie waren mit Dora Palliser dort. Es würde mich wundern, wenn Sie sich da an irgendetwas erinnern würden.»
Addie blickte unruhig von Bea zu Frederick und fragte sich, wovon die beiden redeten. Sie hatte von Dora Palliser gehört. Ihr Bild war ständig in den Zeitungen, meistens von leicht anzüglichen Schlagzeilen begleitet. Sie war berühmt für ihr Engagement für avantgardistische Künstler und ihre Affären mit mehreren dieser Künstler.
Das Klirren von Beas Armbändern riss Addie aus ihren Gedanken. Bea schnippte ungeduldig ihr Handgelenk. «Willst du uns nicht einander vorstellen, Herzchen?»
Hastig kam Addie ihrer Pflicht nach. «Mr. Desborough, darf ich Sie mit meiner Cousine, Lady Rivesdale, bekannt machen?» Ein merkwürdiges Gefühl, von Bea als Lady Rivesdale zu sprechen, als wäre sie jemandes Mutter. Zu Bea sagte sie: «Wir kommen gerade von einem Vortrag über Prosodie und Politik.»
«Wie unglaublich interessant», murmelte Bea und bot Frederick die Hand. «Mr. Desborough.»
Er verneigte sich. «Lady Rivesdale.»
Sie legte kurz ihre Finger um seine Hand, bevor sie sie losließ. «Warum so förmlich? Doras Freunde sind auch meine Freunde.» Sie wies mit einer Kopfbewegung hinter sich. «Etwas zu trinken?»
Frederick sah Addie an. Wie immer spürte sie diese innere Verbindung zu ihm, als wäre sie allein mit ihm, abgeschnitten von der ganzen Welt. Aber dann kehrte sein Blick zu Bea zurück, und es war vorbei. «Gern, danke.»
Bea schlenderte zum Barwagen, ursprünglich ein Spielzeug von Marcus, jetzt ihres, voll mit Flaschen, Mixbechern und seltsamen Geräten, mit denen Addie nichts anfangen konnte.
«Sei so nett und läute nach Eis, Herzchen.» Addie läutete gehorsam, während Bea routiniert verschiedene Zutaten in einen Mixbecher goss. «Jetzt möchte ich aber alles über diesen faszinierenden Vortrag hören.»
«Du hättest dich zu Tode gelangweilt», sagte Addie freimütig. «Da hast an anderen Dingen Spaß.»
«Unsinn», widersprach Bea. «Ich liebe … Prosodie.»
Sie verdrehte die Augen, und Frederick lachte leise. Er nahm den Eiskübel entgegen, den das Mädchen brachte, und reichte ihn Bea. «Ihr Eis.»
«Für Ihren Drink, meinen Sie», erwiderte sie und drückte Frederick den Mixbecher in die Hand. «Würden Sie die Honneurs machen?»
Addie fühlte sich vollkommen ausgeschlossen. Natürlich war es keine Absicht von Bea. Sie hatte einfach diese Art, aller Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zu Addie sagte sie immer, es sei keine Zauberei, es gehe einzig darum, sich selbstbewusst Geltung zu verschaffen. Addie sah zu, wie Frederick die Drinks mixte, sah zu, wie Bea kostete, eine Grimasse schnitt, alles auskippte und noch einmal anfing. Sie wusste, sie sollte etwas sagen, irgendetwas tun, aber was? Ihr fiel nichts ein außer Prosodie, was so war, wie es aus Beas Mund klang:
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