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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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Gedenkminute, und die vielen Artikel in den Zeitungen. Und überall bemühen sich Staatsmänner, Philosophen und Dichter.»
    «Worte», sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. «Nichts als Worte. Aber Worte können uns nicht schützen. Keinen von uns.»
    «Das stimmt nicht. Da täuschst du dich.» Der Tisch kippte beinahe, als sie sich vorbeugte, und sie hielt ihn fest. «Worte besitzen mehr Macht als alles andere.»
    «Sei nicht naiv.» Die Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. «Es wird wieder passieren, und es wird noch viel schlimmer werden. Deine Gedichte sind nicht mehr als eine hübsch verzierte Verpackung für die fundamentale Brutalität des Menschen. Aber die Brutalität will ans Licht, und da helfen deine ganzen schönen Verse nichts.» Er hob sein Glas und prostete ihr spöttisch zu. «Trinken Sie, Miss Gillecote. Denn morgen müssen wir sterben.»
    Addie schlug seine Hand weg. «Hör auf. Das ist ja grauenhaft.» Sie sprang auf. Die Stuhlbeine schabten laut über den Steinboden. Sein Jackett fiel ihr von den Schultern. Sie hob es nicht auf.
    «Du nennst es grauenhaft. Ich nenne es ehrlich.» Seine Augen glitzerten wie grünes Glas. «Das ist nicht grauenhaft. Es ist grauenhaft, wenn man zu seinem Feldbett zurückkommt und zwei Ratten an einer menschlichen Hand knabbern sieht. Es ist grauenhaft, wenn Männer mit offenen Wunden am Kopf, die nie verheilen werden, hüfttief im Schlamm waten. Es ist grauenhaft, wenn man eine Zigarette mit einem Mann teilt, der zwei Minuten später kein Gesicht mehr hat. Willst du wissen, was wahres Grauen ist? Ich könnte dir Geschichten erzählen, die dir deine blütenweiße kleine Seele zerreißen würden. Das da.» Er wies schwankend zur Tanzfläche. «All das, was du so verachtest, ist die Droge, die den Horror des Lebens mit Müh und Not erträglich macht.»
    «Das kann nicht dein Ernst sein», sagte Addie.
    «Was würdest du denn vorziehen? Dass ich höfliche Nichtigkeiten schwatze? Oder dass ich lüge? Ja, das wäre dir wahrscheinlich lieber», sagte er sinnend. «Die meisten von uns ziehen die Lüge der Wahrheit vor, weil die Wahrheit zu grausam ist. Wir sagen, wir wollen die Wahrheit. Aber wir wollen sie gar nicht. Wir wollen eine hübsche Lüge, und die putzen wir dann ein bisschen heraus und nennen sie Wahrheit.»
    Addie schwamm der Kopf. Sie versuchte, zum Ausgangspunkt dieser Diskussion zurückzukehren, zu etwas, das sie verstehen konnte.
    «Aber dann ist das hier –» Mit einer ausholenden Handbewegung umfasste sie den Garten, die hellen Lichter, die Tanzenden, «doch auch alles Lüge. Wenn dir Lügen so verhasst sind, warum dann nicht das hier?»
    «Das ist nicht Lüge.» Frederick lehnte sich mit einem Arm an die Mauer über ihrer Schulter. Sein Gesicht war sehr nahe. «Das ist Zerstreuung. Man könnte es sogar eine Unterbrechung nennen. Ein kurzes Zurücktreten von der allgemeinen Brutalität des Menschen gegen den Menschen. Sollten wir diese kleine Pause nicht genießen, solange sie anhält?»
    Die Steinmauer drückte kalt und rau an ihren Rücken. Sie stemmte sich ein wenig ab und sah Frederick in die Augen, die düster waren im dämmrigen Licht der Lampions.
    «Und wenn ich nicht glaube, dass der Mensch ein so brutales Wesen ist?»
    «Findest du mich nicht brutal?» Sein Blick lag auf ihrem Mund.
    «Nein, die meiste Zeit nicht», sagte sie erbittert.
    Lachend stieß er sich von der Mauer ab und applaudierte. «Guter Return, mein Liebe. Guter Return.»
    Sie hasste diesen Ton an ihm. Als er in seine Tasche griff, um seine Flasche herauszuholen, sagte sie scharf: «Du bist betrunken.»
    Frederick öffnete die Flasche. «Ja, und ich werde mich gleich noch mehr betrinken.» Er schaute zu ihr hinunter, und seine Stimme klang beinahe liebevoll, als er sagte: «Geh nach Hause, Addie. Du gehörst nicht hierher.»
    «Nur, wenn du auch gehst», erwiderte sie impulsiv. «Morgen wirst du es mir danken.»
    «Eine Rettungsaktion?» Er lachte spöttisch. «Die Mühe würde ich mir an deiner Stelle nicht machen. Willst du die Wahrheit wissen? Ich
bin
brutal. Wir alle sind brutal. Wenn du klug bist, suchst du dir irgendwo ein nettes kleines Kloster, mein Engel. In ein Kloster geh, Addie. Du bist zu gut für diese schlechte Welt. Da ging das Licht aus, und wir saßen im Dunkeln.»
    «Du wirfst hier mit Shakespeare um dich und redest Quatsch», sagte Addie.
    «Das ist kein Quatsch. Es ist die reinste Wahrheit, die mir je über die Lippen gekommen ist.

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