Assassini
drohte, und dann stiegen die beiden Männer höher und höher hinauf, bis sie im Schatten eines knorrigen Baumes, der so alt war wie die Christenheit, auf dem harten Boden Platz nahmen. Hier im Schatten war es kühl, und das Tal unter ihnen erstrahlte im hellen Morgenlicht; ein Flußlauf schlängelte sich blau und schimmernd durch die Weite der Landschaft; an beiden Ufern erstreckten sich ausgedehnte grüne Wiesen. Es war eine stille, friedliche Idylle.
»Möchten Sie ein Glas Wein?« fragte Sandanato. »Oder ein Bier? Oder etwas anderes?«
»Nein, danke. Lassen Sie uns einfach hier sitzen und entspannen. Sie brauchen Ruhe – Sie haben anstrengende Tage hinter sich.« D’Ambrizzis Bemerkung galt Sandanatos Amerikareise.
»Sie sollten bei solchen Gelegenheiten immer einen Kriminalroman mitnehmen, Pietro. Er vertreibt die Zeit schneller als Ihr Studium des Meßbuchs oder Ihre philosophischen Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten. Einen Krimi zu lesen, ist nicht so anstrengend, man kann gleichzeitig lesen und nachdenken. Aber das habe ich Ihnen ja schon mehr als einmal gesagt. Und jetzt« -er blickte sich nach allen Seiten um – »sind wir allein. Außerhalb der Reichweite von Mikrophonen und Abhörgeräten, nicht wahr? Jetzt möchte ich alles über Ihre Reise nach Princeton erfahren.«
Vor zwanzig Jahren waren sie zum erstenmal hier an diesem wunderschönen Fleckchen Erde gewesen. Doch die Geschichte nimmt auf Schönheit keine Rücksicht. Im sechzehnten Jahrhundert hatte sich hier eine grausige Begebenheit abgespielt. Ein neapolitanischer Gesandter, Bernardo di Maggiore, war in einen Hinterhalt geraten, den Anhänger des Hauses Aragon ihm gelegt hatten, die im Streit mit dem Papst lagen. Bernardo war beschuldigt worden, auf Seiten des Papstes zu stehen und somit ein Feind der Aragoneser zu sein. Man hatte ihn an einem Olivenbaum gekreuzigt, ihm den Bauch aufgeschlitzt und die Eingeweide herausgerissen, als Warnung an all jene, die sich gegen das Haus Aragon stellten. Wegen seines letzten und höchsten Dienstes für den Papst war er heiliggesprochen und zum Märtyrer erklärt worden – und nach und nach in Vergessenheit geraten.
In der sanften Brise, die aus dem Tal hinaufwehte, glaubte Sandanato beinahe die Schreie Bernardo di Maggiores hören zu können; er stellte sich die verzerrten Gesichter seiner Peiniger und den ausgeweideten Körper des Heiligen vor; geschundenes, blutiges Fleisch, das einst ein Mensch gewesen, nun aber mehr als ein Mensch war, etwas im Tode Geborenes, Unsterbliches. Vielleicht war Bernardo sogar für irgend etwas Wichtiges gestorben, für eine bedeutende Idee, einen großen Gedanken, und dennoch erinnerte sich heute kaum jemand mehr an ihn. Aber um Unsterblichkeit zu erlangen, bedurfte es schließlich keiner großen Ideen.
Der Kardinal ließ sich von Sandanato berichten. Während er ihm zuhörte, öffnete er eine Flasche Chianti, schenkte ihnen beiden ein und schnitt zwei Scheiben von einem frischen Laib Brot ab. Und während sie aßen und tranken, redete Sandanato leise weiter. Der Kardinal blieb nach außen hin gelassen, aber die Geschichte erfüllte ihn mit Zorn und Trauer. Diese Morde raubten ihm so vieles. Lieber hätte er seinen eigenen Tod in Kauf genommen als den Tod seiner Hoffnungen, der Verpflichtungen, die er vor so langer Zeit der Kirche gegenüber eingegangen war. Er trank einen kräftigen Schluck Wein und wischte sich über den Mund. Jetzt galt es, schnell zu handeln, bevor die Maschinerie aus den Geleisen geriet und klirrend und dröhnend in der Dunkelheit verschwand. Er blickte Sandanato an, als dieser geendet hatte.
»Also gut«, sagte er, stützte die Ellbogen auf die Knie und bildete mit Daumen und Zeigefingern ein Dreieck vor dem Gesicht. »Jetzt erzählen Sie mir von diesem Ben Driskill … und welche Rolle unsere Schwester Elizabeth in dieser gefährlichen Angelegenheit spielt. Aus einer solchen Geschichte sollte eine Frau sich besser heraushalten, Pietro.«
»Soll das etwa heißen, Sie haben tatenlos danebengestanden, als dieser Priester ihn niedergestochen hat?« In Elizabeth’ Stimme lagen Zorn und Bestürzung.
Der Wind, der über die Piazza wehte, ließ die Bespannung der Sonnenschirme knattern, die an den Tischen standen, und rauschte in den Blättern der Palmen. Die Autoabgase lagen wie ein dünner blauer Nebel über dem Verkehrsstrom. Die für diese Jahreszeit ungewöhnlich warme Mittagssonne schimmerte blaß durch den Dunstschleier. Das
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