Assassini
im Hause war, wer in der Welt, in der sie, Elizabeth und die anderen Ordensschwestern lebten, das Sagen hatte.
Das Büro der Oberin wurde von den Farben Pfirsich, Creme und einem zarten Grau beherrscht; an der Wand hing ein modernes Kruzifix, das einige Zentimeter davor angebracht war, so daß es zu schweben schien und einen eindrucksvollen, dramatischen Schatten warf, da es von einem versteckt angebrachten Strahler indirekt beleuchtet wurde. Vom Fenster konnte man die Menschen beobachten, die im strahlenden Sonnenlicht in schier endloser Prozession die berühmte Spanische Treppe hinauf- oder hinunterstiegen. Die Oberin stand mit gefalteten Händen an diesem Fenster und blickte hinaus. Als Elizabeth das Büro betrat, wandte sie sich um. Sie hatte verblüffende Ähnlichkeit mit der Schauspielerin Jane Wyman.
»Sie möchten über unsere liebe Schwester Valentine mit mir reden?«
»Ich hätte schon vor Tagen zu Ihnen kommen sollen«, erwiderte Elizabeth, »aber es gibt im Moment so viel zu tun, daß ich einfach nicht die Zeit gefunden habe. Ich … habe mich eigentlich nur erkundigen wollen, ob Sie Schwester Valentine in den vergangenen sechs Monaten häufiger zu Gesicht bekommen haben.«
»Aber ja, natürlich. Sie hat hier gewohnt, meine Liebe.«
»Sie hat sich aber doch meist in Paris aufgehalten.«
»Darüber weiß ich nicht viel. Ich hatte den Eindruck, daß sie sich ihre Zeit sehr genau eingeteilt hat. Ansonsten war sie fröhlich wie immer und verschlossen, was ihre Nachforschungen betraf, so wie wir alle sie in Erinnerung haben.« Sie lächelte traurig und steckte die Blumen in einer kristallenen Vase um. »Ich habe ihr hier im Ordenshaus eins unserer großen Schlafzimmer zur Verfügung gestellt, und wir haben ihr einen Schreibtisch aufs Zimmer gebracht. Sie hat viel gearbeitet. Wie immer.«
»Haben Sie das Zimmer schon räumen lassen?«
»Noch nicht, Schwester. Es ist eine so traurige Aufgabe … ich habe es bis jetzt nicht übers Herz bringen können. Um ehrlich zu sein, ich hatte ohnehin die Absicht, Sie damit zu betrauen, sich um Schwester Valentines Hinterlassenschaft zu kümmern … die Papiere, die Akten, die Bücher; sie hat ja immer einen ziemlichen Berg davon zusammengetragen, nicht wahr?«
»Ich habe gar nicht gewußt, daß sie hier gewohnt hat«, sagte Elizabeth nachdenklich.
»Ich weiß, daß Sie beide gut befreundet waren. Aber Sie sollten sich nicht übergangen fühlen. Schwester Valentine war so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie kaum Kontakt nach außen pflegte. Sie war ja immer ein sehr zielstrebiger Mensch, nicht wahr? Sie hat viel Zeit in den Geheimen Archiven verbracht, denn sie hatte ja immer noch sehr guten Einfluß – wie lautet doch gleich der englische Ausdruck?«
»Beziehungen?«
»Richtig. Sie hatte immer noch sehr gute Beziehungen zu hohen Kirchenkreisen.«
»Ich verstehe nicht recht, was Sie damit sagen wollen.«
»Daß Kardinal D’Ambrizzi seinen Einfluß geltend gemacht hat. Er hat ihr ermöglicht, in den Geheimen Archiven arbeiten zu dürfen. Sie konnte sich dort frei bewegen.«
»Darf ich ihr Zimmer sehen?«
»Selbstverständlich. Jetzt, wo Sie schon einmal hier sind, hätte ich Sie ohnehin hinaufgebeten. Kommen Sie, meine Liebe, ich zeige es Ihnen.«
Die Oberin ließ Elizabeth in dem sonnendurchfluteten Zimmer, das Val bewohnt hatte, allein. Elizabeth setzte sich auf einen tief gepolsterten Sessel und sichtete eine halbe Stunde lang Berge von Papieren, Akten, Notizbüchern und losen Blättern. Doch alles schien mit Valentines bereits erschienenen Büchern und Zeitungsartikeln in Zusammenhang zu stehen, sogar mit Reden, die sie zu verschiedenen Anlässen gehalten hatte. Elizabeth seufzte niedergeschlagen und nahm ein kleines Paket auf, das aus Aktenmappen und Notizbüchern bestand, die durch drei Gummibänder zusammengehalten wurden.
Die zuoberst liegende Aktenmappe war mit einem Filzstift beschriftet. Die zwei Worte sprangen Elizabeth förmlich an.
DIE MORDE.
2 DRISKILL
Auf dem Flug New York-Paris-Kairo schluckte ich jede Menge Schmerztabletten und trank dazu Champagner. Allmählich verlor ich jegliches Zeitgefühl; ich schloß die Augen und sah – wie in einem Alptraum – das silberhaarige Phantom wieder auf mich zulaufen und die funkelnde Klinge des Messers in seiner Hand. Soviel zum Thema Schlaf und Entspannung. Die Beerdigung meiner Schwester lag mittlerweile neun Tage zurück. Im Krankenhaus waren meine Wunden an Rücken und Hüfte mit – so kam
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