Assassini
Diplomat. Sämtliche Bewohner des Schlosses, bis auf den Herzog, wurden in einem Verlies zusammengetrieben und bei lebendigem Leibe verbrannt.
Dem armen Sebastiano wurde in einem gräßlichen Ritual ein Gliedmaß nach dem anderen amputiert, bis nur noch Torso und Kopf übrig waren. Diese – angeblich noch lebenden – Überreste wurden in einem Streifen sandigen, trockenen Ödlandes zurückgelassen, den Krähen zum Fraß.
Der Papst war mit dem Ausgang des Feldzugs zwar insgesamt zufrieden, doch haftete dem Sieg der Makel an, daß neun Assassini entkommen waren. Einigen Gerüchten zufolge waren sie nach Spanien geflohen, andere wiederum besagten, sie hätten in einem weltabgeschiedenen, seit langer Zeit verlassenen Kloster irgendwo in der Einsamkeit der Berge Zuflucht gefunden, dessen genaue Lage niemand kannte. Auf jeden Fall hat man nie wieder etwas von ihnen gehört.
Und der Papst verschwendete keinen Gedanken mehr an diese Angelegenheit.
Die Geschichte von Sebastiano und den toskanischen Assassini bewegte und erschütterte Elizabeth. Sie fühlte sich erschöpft, deprimiert, und dennoch ließ eine bestimmte Frage sie nicht los.
Was war der Unterschied zwischen dem, was damals, vor fast fünfhundert Jahren, geschehen war und dem, was momentan passierte?
Als sie an diesem Abend in ihre Wohnung zurückkehrte, machten ihr die Greuelgeschichten über die Assassini, Sebastiano und den Papst noch immer zu schaffen. Sie hatte höllische Kopfschmerzen und ging früh zu Bett, völlig erschöpft, verwirrt und bedrückt von der Tatsache, daß sie niemanden hatte, mit dem sie all diese Dinge bei einem mitternächtlichen Imbiß und einer Kanne Kaffee durchsprechen konnte.
Welches Ziel verfolgte sie eigentlich bei ihren Nachforschungen? Gab es überhaupt ein Ziel? Es erschien ihr beinahe so, als hätte sie vergessen, warum sie die Arbeit in den Geheimen Archiven überhaupt aufgenommen hatte. Man hatte sie vor der Düsternis, der beklemmenden Atmosphäre, den verborgenen schwarzen Schatten unentdeckter Vergangenheit in diesen endlosen Gängen und zahllosen Räumen gewarnt. Aber niemand hatte sie vor den Assassini gewarnt, die jetzt irgendwo in der Dunkelheit ihres Zimmers lauerten, vor dem Gespenst Valentines, vor den Erinnerungen an den Schmerz und den Zorn auf Ben Driskills Gesicht. O ja, sie kannte diese Litanei inzwischen nur zu gut. Und sie mußte sich bald jemandem mitteilen, um nicht den Verstand zu verlieren.
Bald …
Father ›Peaches‹ O’Neale, Pfarrer an St. Mary’s in New Prudence, versuchte so gut es ging über den Tod Schwester Vals hinwegzukommen, der einzigen Frau, die er jemals geliebt hatte. Er trug sein gewohntes Lächeln zur Schau, wann und wo immer er an diesen klaren, kalten Tagen des frühen Winters seinen seelsorgerischen Pflichten nachging. Die Dunkelheit kam früh, und an den langen Abenden, wenn der Wind hohl in den Giebeln und Winkeln des alten Pfarrhauses jaulte, wenn das Feuer im Kamin fast niedergebrannt war, wachte Peaches des öfteren irgendwann in seinem Lehnstuhl auf, meist mit von schottischem Whisky umnebeltem Hirn, und auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte irgendein Spätfilm. Der Scotch war eine Möglichkeit, mit Vals Tod fertig zu werden, aber Peaches war entschlossen, die Trinkerei nicht einreißen zu lassen. Zu viele Priester waren auf dieser einsamen Straße zu weit gewandelt und schließlich verlorengegangen.
Darum hielt Peaches sich an die Kinder- und Jugendgruppen seiner Gemeinde, arbeitete im Frauenverein mit, wenn die Damen für wohltätige Zwecke bastelten oder Bazare veranstalteten; er nahm jede, aber auch jede Einladung an und hielt ständigen Kontakt zu Father Dunn. Er besuchte Hugh Driskill Tag für Tag im Krankenhaus. Er beobachtete, wie die Kraft allmählich in den Körper des alten Mannes zurückkehrte, wie sein eiserner Wille wieder die Oberhand gewann. Es gab keinen Zweifel: Hugh Driskill würde genesen, langsam, aber sicher. Peaches hatte den Eindruck, daß Old Hugh ihn immer mehr als eine Art Ersatzsohn für Ben betrachtete, der Gott weiß wohin gereist war. Er wußte, daß er kein Mann war, wie Hugh Driskill ihn sich wünschte, aber er war besser als nichts, als niemand. Er war vor allem jemand, mit dem Hugh über Ben und Valentine reden konnte. Doch manchmal versank der alte Mann in Schweigen, wenn dieses Thema zur Sprache kam, und dann lag er grübelnd da, in Gedanken an Ben und Val versunken; Gedanken, die tief in seinem Innern waren,
Weitere Kostenlose Bücher