Assassini
Schluck trank, und lauschte dazu den Klängen von Rigoletto, die aus den großen Lautsprechern in den Zimmerecken drangen. Die Schiebetüren zum Balkon waren geöffnet, und der Regen trommelte auf die Gartenmöbel. Die Vorhänge bewegten sich im Wind. Elizabeth trug Kordjeans und einen dicken Wollpullover.
»Sie haben also den ganzen Abend Trübsal geblasen«, sagte sie mitfühlend. »Tja, das Gefühl kenne ich. Ich hatte in letzter Zeit viele solcher Abende. Und Sie haben unter großem Druck gestanden, kann ich mir vorstellen. Die da drüben müssen ja am Rande der Verzweiflung stehen.« Sie wies mit dem Kopf in die ungefähre Richtung der Vatikanstadt. »Wer leitet eigentlich die Untersuchungen der Mordfälle?« Sie lächelte verschmitzt. »Raten Sie mal«, sagte er. »D’Ambrizzi?«
»Er ist einer der gewissenhaftesten Männer, wenn es um solche Aufgaben geht. Aber in diesem Falle hat Indelicato die Leitung übernommen.«
Elizabeth schlug sich an die Stirn. »Natürlich, ich hätte es wissen müssen. Das ist sein Fachgebiet!«
»Aber wir stehen vor einem Rätsel«, sagte er. »Niemand weiß, was wirklich zu tun ist – oder ob irgend etwas getan werden kann. Nicht einmal Indelicato. Aber er ist der richtige Mann für diese Aufgabe. Es war die logische Entscheidung, ihn damit zu betrauen. Ein zusätzliches Problem ist allerdings, daß keine einhellige Meinung darüber besteht, wie weitreichend dieses Problem ist.« Er runzelte die Stirn. »Aber lassen Sie sich nur nicht davon täuschen, wie D’Ambrizzi über diese Sache redet – er weiß sehr genau, daß irgend etwas im Busch ist und daß es sich dabei um ein innerkirchliches Problem handelt.«
»Tja, aber Frage Nummer eins in diesem Zusammenhang muß lauten: Auf welche Weise wird das alles die Wahl des neuen Papstes beeinflussen?«
»Sie greifen wieder mal zu weit vor, Schwester. Seine Heiligkeit kann durchaus noch ein Jahr leben …«
»Oder schon morgen tot sein. Nehmen Sie mich doch nicht auf den Arm, mein Freund.«
»Was soll ich dazu sagen? In der Kurie wächst die Besorgnis, daß Calixtus ein zu nachgiebiger Papst gewesen sein könnte, daß er nicht genug Ellbogen bewiesen hat, und es macht sich eine gewisse Erbitterung breit, daß sich alles nur deshalb so zugespitzt hat, weil eine Art liberaler Fäulnisprozeß innerhalb der Kirche eingesetzt habe. Es gibt Stimmen, die behaupten, daß die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, Stimmen, die nach einem starken Mann rufen, der die Ordnung wiederherstellt …« Er zuckte die Achseln. »Sie können es sich vorstellen.«
»Dann hat man also eingesehen, daß Vals Theorie richtig ist.
Daß die Morde Teil eines bestimmten Planes sind. Warum will D’Ambrizzi das mir gegenüber nicht zugeben?«
»Na, hören Sie, Schwester, er gehört einer anderen Generation an. Und Sie sind Nonne. Er würde mich für verrückt erklären oder Schlimmeres, wenn er wüßte, daß ich über alle diese Dinge mit Ihnen rede. Sie sind so etwas wie eine …« Er druckste herum, suchte die richtigen Worte.
»Wie wär’s mit ›ein aufdringliches Weibsstück‹?«
Offensichtlich überrascht, bedachte er sie mit einem seiner seltenen Lächeln.
»Sie sind zu scharfsinnig. Ja, scharfsinnig. Das ist eher das richtige Wort. Sie sind einfach zu klug. Und Sie sind Journalistin. Und beides weiß D’Ambrizzi.«
»Was könnte ich denn schon tun? Skandalöse Theorien und Beschuldigungen in der Zeitschrift veröffentlichen? Oder mich an die New York Times wenden? Na, kommen Sie, Sandanato, bleiben Sie auf dem Boden der Tatsachen.«
»Und er macht sich Sorgen um Sie. Sie sind zu scharfsinnig und zu hartnäckig. Genau wie Schwester Valentine. Er kann nicht vergessen, was ihr zugestoßen ist.«
»Aber was hätte Val denn tun sollen? Sie entdeckt, daß innerhalb der Kirche Massenmorde verübt werden – daß gläubige Katholiken getötet werden, daß die Assassini im Zweiten Weltkrieg reaktiviert wurden und vielleicht immer noch existieren -was hat man denn von ihr erwartet? Daß sie es vergißt? Verschweigt? Ignoriert? Weil es sich vielleicht als lästig erweisen könnte?«
»Sie hätte zu uns kommen sollen. Zum Kardinal. Und uns berichten sollen. Sie hätte es uns überlassen sollen, und wir hätten die nötigen Maßnahmen ergriffen. Es ist ein kirchliches Problem, Schwester, und Valentine wäre noch am Leben.« Er hatte mit fester Stimme gesprochen, die letzten Worten klangen jedoch leise und bedrückt. »Das ist jedenfalls D’Ambrizzis
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