Assassini
gesagt, ich hätt’s getan, Ben«, hatte Val schluchzend erwidert, »und da hab’ ich sie gefragt, was ich denn getan haben soll, und sie hat immer wieder nur gesagt, ich wär’s gewesen, ich hätt’s getan …«
»Erzähl mir genau, was sie gesagt hat.«
»›Du, du hast es getan, du hast es getan, du warst es … draußen im Obstgarten … du hast ihn genommen, du hast es getan …‹« Dann fing sie wieder an zu weinen und sagte: »Aber ich habe es nicht getan, Ben, ich schwöre, ich war’s nicht«, und ich nahm sie in die Arme und sagte ihr, sie könne diese Nacht bei mir im Bett schlafen.
Ich erklärte ihr, daß Mutter einen Alptraum gehabt habe, daß es nicht ihre Schuld sei und daß sie keine Angst vor Mutter haben müsse – und ich konnte mich erinnern, daß wir später nie wieder auch nur ein Wort über diese Geschichte verloren haben. Vielleicht, weil es etwas mit der schlimmen Sache zu tun hatte, die im Obstgarten passiert war, jene Sache, über die wir nicht reden sollten, über das … Ding, das da am Ast gebaumelt hatte …
Und jetzt, Jahrzehnte später, war Mutters Alptraum noch immer lebendig, war er der meine geworden.
2 DRISKILL
Die Fahrt zum Ferienhaus zog sich ziemlich hin, da ich wegen des Schnees und des dichten Nebels nur im Schneckentempo vorankam; zudem wehte ein heftiger Wind, der hohe Wehen auftürmte und den Wagen durchschüttelte. Der Schneefall hatte sich geradezu beängstigend verdichtet, als ich endlich in Everett anlangte – und am Straßenrand das Umleitungsschild sah. Die Brücke war nach einer Sicherheitsprüfung durch das Straßenbauamt gesperrt worden, und der Verkehr wurde durch eine kleine Stadt namens Menander umgeleitet. Ich folgte den Hinweisschildern und fuhr die lange, gewundene Steigung zum Hügel hinauf und unter einer steinernen Brücke hindurch und bog dann nach links in Richtung Menander ab. Auf dieser Strecke war die Steigung noch größer. Eine Zeitlang hatte ich die Befürchtung, die Reifen würden auf dem Eis und dem Schnee die Bodenhaftung verlieren und mir ein Weiterkommen unmöglich machen. Die bewaldeten Hügel waren nur mehr ein Labyrinth aus dunklen, kahlen Ästen und Zweigen am Straßenrand, die sich verängstigt und hoffnungslos aneinander zu klammern schienen. Ich sah ein paar Kinder aus Menander, die zwischen den Bäumen einen Abhang hinunter Schlitten fuhren. Die Kämme der Hügel waren in Nebelschleier gehüllt. Der Schnee wurde immer tiefer, je höher ich kam, und unter der Schneedecke war blankes Eis. Hätte ich mich nur eine Stunde später auf den Weg gemacht, wäre ich möglicherweise in ernste Schwierigkeiten geraten.
Menander war für Weihnachten festlich geschmückt. Sterne aus kleinen Glühbirnen hingen an den Laternenpfählen, und ein über die Straße gespanntes Transparent wünschte ›Ein gesegnetes Fest!‹. Vor der Kirche stand eine große, von Scheinwerfern angestrahlte Krippe; auf dem Dach der Scheune hatte sich eine bedrohlich hohe Schneehaube gebildet. Josef, Maria und die Heiligen Drei Könige wirkten schrecklich fehl am Platz. Ich hielt vor einem Drugstore, das einst von einem Geschwisterpaar namens Potterveld geführt worden war, jetzt gehörte es der Rexall-Ladenkette an. Von dort rief ich im Ferienhaus an und vernahm meines Vaters Stimme, die sich sehr viel kräftiger anhörte als bei den Übersee-Gesprächen. Ich sagte, daß ich die Absicht hätte, ihm einen Besuch abzustatten.
»Na, die Zeit ist ja auch reif«, sagte er. »Ich hätte wissen müssen, daß du Weihnachten zu Hause auftauchst, um deine Geschenke abzuholen. Ich kenne dich, Ben.« Er lachte, um mir zu verstehen zu geben, daß diese Bemerkung als Scherz und nicht als Vorgeplänkel unserer altbekannten, verbalen kriegerischen Auseinandersetzungen gemeint war. »Du solltest dich beeilen. Hier oben wird’s schon dunkel, und es schneit hundserbärmlich.«
»Ich bin in einer knappen Stunde bei dir«, sagte ich.
Als ich weiterfuhr und den Wagen noch vorsichtiger über die zunehmend tückische, schmale gewundene Straße lenkte, freute ich mich zum erstenmal seit langer Zeit aufrichtig, meinen Vater wiederzusehen. Ich empfand sogar ein Gefühl, das echter Zuneigung gleichkam; ich mußte aus irgendwelchen Gründen an jenen Tag vor vielen Jahren zurückdenken, als Gary Cooper und mein Vater auf der sonnenbeschienenen Veranda unseres Hauses gesessen und über das Filmprojekt gesprochen hatten. Und dann, im Kino, waren Daddys OSS-Abenteuer für mich zum Leben
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