Assassini
Bettdecke bis zum Kinn. Ich hatte von Val geträumt, verschwommen, nebelhaft, hatte ihre Stimme aus der Vergangenheit gehört. Die Angst, die in ihrer Stimme gelegen hatte, als sie mich anrief, ließ mich immer mehr zu der Überzeugung gelangen, daß Vals Entdeckung – was immer es sein mochte – noch schlimmer war, als sie befürchtet hatte.
Befanden sich die Antworten auf all die Fragen in ihrem Aktenkoffer?
Wenn das, was sie gewußt hatte, so ungeheuer wichtig war, und wenn Val Angst davor gehabt hatte, daß sie – sie – hinter ihr her waren, warum hatte sie dann nicht irgendwie verhindert, daß sie an den Aktenkoffer kamen? Warum hatte Val ihn nicht irgendwo in Sicherheit gebracht?
Als ich Vals Handlungsweise nachzuvollziehen versuchte, entdeckte ich die Widersprüchlichkeit meines Gedankengangs. Sie hatte gewußt, daß sie in Gefahr schwebte. Sie mußte auch gewußt haben, daß sich so etwas wie Dynamit in ihrem Aktenkoffer befand. Val war kein unschuldiges Geschöpf gewesen. Auch sie hatte Tricks und Schliche gekannt. Sie mußte entdeckt haben, wo die sprichwörtliche Leiche im Keller lag – und dennoch hatte sie ihren Mördern den Aktenkoffer überlassen?
Nein, sie mußte irgendeine Rückversicherung hinterlassen haben! Im Falle eines natürlichen Todes, eines Unfalles, ihrer Ermordung, beim Verlust des Aktenkoffers …
Ich setzte mich ruckartig auf! Sie hatte ein Versteck gebraucht, an dem der Mörder niemals suchen würde.
Ich schoß aus dem Bett, streifte mir, zitternd vor Kälte, meinen alten karierten Morgenmantel über, stieß mit dem Zeh schmerzhaft gegen die Spiegelkommode und tastete mit fliegenden Fingern nach dem Lichtschalter.
Das Spielzimmer!
Es roch muffig und leer; die Rouleaus waren heruntergelassen; ein Stück Tapete hatte sich gelöst und hing von der Wand. Die Tür schwang auf wie eine Pforte zur Vergangenheit. Ich konnte Val beinahe vor mir sehen, in einem kurzen taillierten Kleidchen und Turnschuhen und weißen Strümpfen, dort drüben in der Ecke, wo sie ihre Bücher und ihre Malsachen aufbewahrt hatte. Wie oft hatte ich dort mit meiner Plastik-Baseballmannschaft gespielt, hatte dem winzigen Joe DiMaggio meine Pässe zugespielt und der kleinen Val gesagt, sie solle endlich aufhören, mich zu stören …
Irgendwo in den Schatten erklang ein huschendes, trippelndes Geräusch. Ein Eichhörnchen schoß über den Fußboden, hielt inne, spähte in den leeren Kamin und verschwand dann hinter ein paar Kisten, in denen sich einige von Vals alten Spielsachen befanden. Sie standen in Vals Lieblingsecke zwischen dem Bücherschrank und dem Fenster. Ich schaltete die Deckenlampe ein. Die schattenhaften Umrisse verwandelten sich in ein Tretauto, das einem alten Buick-Modell nachgebildet war, zwei Fahrräder, eine Wandtafel, aufgestapelte Kisten voller Bücher, die große Blechtrommel, die einst unter einem Weihnachtsbaum gestanden hatte. Val hatte mit Begeisterung auf das Ding eingeschlagen und einen Höllenlärm veranstaltet. Und dann hatte sie eine bessere Verwendung dafür gefunden …
Ich durchquerte das Zimmer und kniete mich neben die Trommel auf den staubigen Boden. Irgend jemand war vor mir hier gewesen. Val. Sie hatte irgend etwas in ihr altes Versteck gelegt, dorthin, wo es sicher war.
Auf der Blechbespannung lag eine dicke Staubschicht, aber ein Segment der Seitenverkleidung mit den aufgemalten grinsenden Clowns war saubergewischt. Ich bekam meine Fingerspitzen nicht unter das dünne Stück Holz, darum schüttelte ich die verdammte Trommel, schlug sie gegen die Wand und machte ein Heidenspektakel. Und dann, endlich, löste sich das Segment.
Ich riß es los und schob eine Hand in die Öffnung – und all meine Hoffnungen zerplatzten wie eine Seifenblase.
Der Hohlraum war leer. Aber das konnte nicht sein. Val war hier gewesen. Sie hatte sich neben die Trommel gekniet; sie hatte das Segment saubergewischt; sie hatte ihre Fingerabdrücke im Staub hinterlassen. Sie hatte ihr altes Versteck benutzt … Dann fand ich es.
Es saß in einem Spalt im Innern der Trommel fest. Ich zog es heraus.
»Was tun Sie da? Schlagzeug üben?«
Schwester Elizabeth stand in der Tür. Sie trug einen weiten, gestreiften Pyjama, rieb sich die Augen und gähnte.
»Ich sterbe vor Hunger«, sagte sie. Sie spähte in den Kühlschrank und machte Inventur. »Eier. Schinken, Truthahn, Gorgonzola, Zwiebeln, Butter. Daraus ließe sich was machen. Ja, klar. Muffins.« Sie ließ den Blick durch die Küche
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