Assassin's Creed: Renaissance - Der offizielle Roman zum Videogamebestseller Assassin’s Creed 2 (German Edition)
bleiben. Das wäre zu riskant für deine Familie. Wenn sie auf den Gedanken kommen, du könntest mir Unterschlupf gewähren …“
Cristina schwieg.
„Gib mir meinen Beutel, und dann verschwinde ich.“
Sie holte das Gewünschte, aber bevor sie es ihm reichte, sagte sie: „Was ist mit deiner Familie?“
„Das wird meine erste Aufgabe sein. Meine Toten zu begraben. Ich kann nicht zulassen, dass sie wie gewöhnliche Verbrecher in eine Kalkgrube geworfen werden.“
„Ich weiß, wo man sie hingebracht hat.“
„Woher?“
„In der Stadt war den ganzen Tag lang von nichts anderem die Rede. Aber jetzt wird niemand dort sein. Sie befinden sich in der Nähe der Porta San Niccolò, zusammen mit den Leichnamen einiger Armer. Man hat eine Grube vorbereitet, aber man wartet noch auf die Kalkkarren, die erst am Morgen eintreffen werden. Oh, Ezio …!“
Ezio sprach ruhig, aber voller Grimm. „Ich muss dafür sorgen, dass mein Vater und meine Brüder diese Erde auf angemessene Weise verlassen. Ich kann ihnen zwar keine Totenmesse bieten, aber ich werde wenigstens verhindern, dass man ihre Leichen entweiht.“
„Ich komme mit dir!“
„Nein! Ist dir klar, was es bedeuten würde, wenn man dich mit mir erwischt?“
Cristina senkte den Blick.
„Ich muss zusehen, dass auch meine Mutter und meine Schwester in Sicherheit sind, und ich schulde meiner Familie noch einen Toten.“ Er zögerte. „Dann werde ich gehen. Vielleicht für immer. Die Frage ist … wirst du mit mir kommen?“
Sie wich zurück, und Ezio sah in ihren Augen den Widerstreit ihrer Gefühle. Da war Liebe, tief und fest, aber er war so viel älter geworden als sie, seit sie einander zum ersten Mal in den Armen gehalten hatten. Sie war noch ein Mädchen. Wie konnte er ein solches Opfer von ihr erwarten? „Ich möchte es, Ezio, du ahnst nicht, wie sehr ich es möchte … Aber meine Familie … Es würde meine Eltern umbringen.“
Ezio sah sie sanften Blickes an. Zwar waren sie im gleichen Alter, aber seine jüngsten Erfahrungen hatten ihn schlagartig reifer gemacht, als sie es war. Er hatte keine Familie mehr, auf die er bauen konnte. Für ihn gab es nur noch Verantwortung und Pflicht, und das war ein schweres Los. „Es war falsch von mir, dir diese Frage zu stellen. Und wer weiß? Eines Tages vielleicht, wenn all das hinter uns liegt …“ Er griff mit den Händen in seinen Nacken und zog aus den Falten seines Kragens eine dünne goldene Kette mit einem schweren Silberanhänger hervor. Er nahm sie ab. Der Anhänger war schlicht – nur der Buchstabe „A“, die Initiale seines Familiennamens. „Das möchte ich dir schenken. Nimm es, bitte.“
Mit zitternden Händen und leise weinend nahm sie das Geschenk entgegen. Sie blickte auf die Kette, dann zu ihm, um ihm zu danken, um noch etwas zu sagen.
Aber er war nicht mehr da.
* * *
Am Südufer des Arno, unweit der Porta San Niccolò, fand Ezio den trostlosen Ort, wo die Leichen neben einer großen, im Boden klaffenden Grube aufgereiht lagen. In der Nähe patrouillierten zwei bedauernswert aussehende Wachen, offenbar frisch rekrutiert, die ihre Hellebarden eher hinter sich herschleiften, als sie zu tragen. Der Anblick ihrer Uniformen schürte Ezios Wut, und sein erster Impuls war, sie zu töten, aber er hatte heute schon genug Tote gesehen, und dies waren nur zwei Bauernburschen, die diese Uniformen trugen, weil sie sich ein besseres Leben davon erhofften. Es tat ihm im Herzen weh, die Leichen seines Vaters und seiner Brüder am Rand der Grube liegen zu sehen, die Schlingen noch um ihre wund gescheuerten Hälse, aber er erkannte auch, dass er, sobald die Wachen eingeschlafen waren – was ohne Zweifel bald der Fall sein würde –, die Toten problemlos zum Flussufer tragen konnte, wo er ein mit Reisig beladenes Boot vertäut hatte.
Es war um die dritte Stunde, und im Osten bleichte bereits das erste schwache Licht der Dämmerung den Himmel, als er seine Aufgabe erledigt hatte. Allein stand er am Ufer und sah zu, wie das Boot mit den Leichen seiner Verwandten brennend in Richtung Meer trieb. Er schaute ihm nach, bis der Feuerschein flackernd in der Ferne verglomm …
Er kehrte in die Stadt zurück. Eherne Entschlossenheit war an die Stelle seiner Trauer getreten. Es gab noch viel zu tun. Aber zunächst musste er sich ausruhen. Er schlüpfte wieder in der Wachhütte unter und machte es sich so bequem wie möglich. Er fand ein wenig Schlaf – aber selbst im Schlaf ließ Cristina seine Gedanken
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