Assassin's Creed: Revelations - Die Offenbarung (German Edition)
ungesehen wieder auf die höchsten Wehrgänge der Festung. Sein Atem bildete Wolken in der kalten Luft. Er suchte sich eine Stelle, von der aus das Dorf Masyaf zu sehen war, das sich in den Schatten der Burg duckte. Er wusste, dass er die Burg unmöglich durch eines der streng bewachten Tore verlassen konnte, aber er musste den narbengesichtigen, kahlköpfigen Hauptmann aufspüren. Er nahm an, dass der Mann draußen unterwegs war und die Suche nach dem entflohenen Assassinen leitete. Die Templer durchkämmten sicher die Umgebung, was den Umstand erklärte, dass sich in der Festung momentan nur wenige Männer aufhielten. In jedem Fall, das wusste Ezio, würde ihn der nächste Schritt seiner Mission über die Mauern Masyafs hinausführen – aber dazu musste er die Burg erst einmal verlassen.
Als er freie Sicht auf das Dorf hatte, sah er, dass Templer dort die Runde machten und die Bewohner befragten. Er vergewisserte sich, dass er die Sonne im Rücken hatte und somit von unten nicht deutlich zu sehen war, dann holte er den Fallschirm hervor, faltete ihn auseinander und baute ihn zusammen, so schnell es ihm die nötige Sorgfalt erlaubte. Schließlich würde sein Leben davon abhängen. Die Entfernung war selbst für den gewagtesten Todessprung zu groß und das Gefälle zu gefährlich.
Der Fallschirm hatte die Form eines dreieckigen Zeltes oder einer Pyramide und bestand aus robuster Seide, die von Streben aus dünnem Stahl gehalten wurde. Ezio verknotete die Seile der vier Ecken zu einem Geschirr, das er sich um die Brust band. Dann hielt er inne, um den Wind zu prüfen und sich zu überzeugen, dass von unten niemand heraufschaute, und endlich warf er sich in die Tiefe.
Es wäre ein erhebendes Gefühl gewesen, hätte er die Muße gehabt, es zu genießen. So aber musste er sich auf die Steuerung des Geräts konzentrieren und dabei Konvektionsströme und Thermik nutzen wie ein Adler. Schließlich landete er gut zehn Meter vom nächsten Gebäude entfernt. Rasch verstaute er den Fallschirm, dann machte er sich auf den Weg ins Dorf.
In der Tat waren die Templer eifrig dabei, die Bewohner zu drangsalieren, stießen sie herum und schlugen sie gnadenlos, wenn sie nicht klar und umgehend antworteten. Ezio mischte sich unter die Dorfbevölkerung, lauschte und beobachtete.
Ein alter Mann bat einen banditenhaften Templer, der über ihm aufragte, um Mitleid. „Helft mir!“, flehte er jeden an, der ihn hören konnte, aber niemand erfüllte ihm seine Bitte.
„Rede, du Hund!“, rief der Templer. „Wo ist er?“
In der Nähe wurde ein jüngerer Mann von zwei Kerlen geschlagen, obwohl er sie beschwor aufzuhören. Ein anderer heulte: „Ich bin unschuldig!“ Dennoch wurde er niedergeknüppelt.
„Wo versteckt er sich?“, knurrten seine Angreifer.
Nicht nur mit den Männern wurde grausam umgesprungen. Zwei andere dieser feigen Templer hielten eine Frau fest, während ein dritter unbarmherzig auf sie eintrat und ihre Schreie erstickte. Sie wand sich am Boden und beteuerte immer wieder: „Ich weiß nichts! Bitte vergebt mir!“
„Schaff uns den Assassinen herbei, und dir wird nichts weiter geschehen“, grinste ihr Peiniger und brachte sein Gesicht ganz nah an das ihre. „Wenn nicht … “
Ezio verfolgte die Szene. Es drängte ihn fast schmerzhaft, der Frau beizustehen, aber er zwang sich zur Konzentration auf seine Suche nach dem Hauptmann. Er traf gerade rechtzeitig am Haupttor des Dorfes ein, um zu sehen, wie der Gesuchte auf einen Pferdekarren stieg. Der Hauptmann hatte es so eilig, dass er den Kutscher vom Bock zu Boden stieß.
„Aus dem Weg!“, brüllte er. „ Fiye apó brostá mou!“ Der Hauptmann ergriff die Zügel und funkelte seine Männer ringsum an. „Ihr bleibt alle hier, bis der Assassine tot ist“, knurrte er. „Habt ihr das verstanden? Findet ihn!“
Er hatte Griechisch gesprochen, wie Ezio erkannte. Bislang hatte Ezio zumeist Italienisch und Arabisch gehört. Konnte der Hauptmann ein Byzantiner sein? Ein Nachkomme jener, die ins Exil getrieben wurden, als Konstantinopel fünfundsechzig Jahre zuvor unter dem Schwert von Sultan Mehmed gefallen war? Ezio wusste, dass die Vertriebenen sich bald darauf auf dem Peleponnes niedergelassen hatten, aber auch nachdem sie von den siegreichen Osmanen überrannt worden waren, gab es in Kleinasien und im Nahen Osten noch Nester von ihnen.
Er trat vor.
Die Soldaten musterten ihn unruhig.
„Herr!“, rief einer der Mutigeren. „Er scheint uns gefunden zu
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