Assungas Liebesnest
Dörfer gewohnt, und da kannte der Förster die meisten Bewohner.
Bereits nach dem dritten Schritt stellte er fest, daß dies nicht zutraf. Der Gehängte war ihm unbekannt. Er hatte ihn nie zuvor zu Gesicht bekommen.
Er hing etwas schief in der Schlinge, und nun fiel dem Förster auf, daß er keinen Mantel und auch keine Jacke trug. Er hatte sie mal getragen. Jetzt lagen die Kleidungsstücke vor seinen Füßen am Boden, als hätte er sie vor seiner Tat abgelegt.
So recht glauben wollte Blake das jedoch nicht. Etwas bereitete ihm Probleme. Nicht das aufgerissene Hemd, mehr das Blut auf der Haut. Es verteilte sich auf dem gesamten Körper. Es waren Wunden, aber es lief kein Blut mehr hervor.
Klar, der Mann war tot.
Im Sommer hätten zahlreiche Fliegen die Leiche umsummt. Zu dieser Zeit nicht. Kein Tier nahm von ihr Notiz. Nur der Förster, der sich dem Gehängten noch mehr näherte. Er wollte ihn sich unbedingt aus der Nähe anschauen.
Dicht davor blieb er stehen. Die Leiche stank noch nicht. Nach wie vor umgab ihn der Geruch des Waldes, den Blake als eine kühle Frische empfand.
Er ließ den Blick in die Höhe gleiten. Er würde ihm leicht die Schlinge abnehmen können, doch das war nicht seine Sache, sondern die der Polizei. Obwohl er den Mann nicht kannte, drängte es Blake, sich das Gesicht näher anzuschauen. Er brauchte den eigenen Kopf nur ein wenig anzuheben. Okay, der Mann war fremd. Und er war noch nicht alt geworden. Keine dreißig Jahre. Der Kopf hing schief in der Schlinge, so daß die linke Halsseite noch stärker gespannt war als die rechte.
Dort sah er die beiden Wunden!
Recht dicke Bißstellen, die sich wie Knubbel von der Haut des Mannes abhoben. Sie waren tiefrot, und trotzdem konnte Blake sehen, daß jemand die Haut an den bestimmten Stellen an der linken Halsseite aufgeschlitzt oder aufgebissen hatte.
Aufgebissen?
An diesem Wort saugte er sich fest. Es war ihm nicht grundlos in den Sinn gekommen, und er merkte, daß er zu zittern begann. Er dachte auch flüchtig an die Fledermaus, sah aber noch keinen direkten Zusammenhang. Der Förster betrachtete das Gesicht der Leiche.
Es war starr, ohne Leben. Die Augen bewegten sich nicht. Der Mund war schief und stand offen, so daß er in die Mundhöhle hineinschauen konnte.
Er tat es bewußt, denn wieder drehten sich in seinem Kopf die Gedanken um ein bestimmtes Thema.
Er sah auch Zähne!
Zwei standen vor – oder?
So genau war es nicht zu sehen. Nur Spitzen schimmerten unter der Oberlippe hinweg, und mit Spitzen waren auch die Zähne der Vampire ausgerüstet, wie bei Fledermäusen.
Blake war jetzt mutig. Er wollte sich den endgültigen Beweis holen. Dazu mußte er nur die Oberlippe des Toten in die Höhe schieben, um endgültig Gewißheit zu erhalten.
Er tat es.
Dann sah er die Zähne. Es war für ihn der zweite Schock. Er war vor Entsetzen wie gelähmt.
Er konnte nicht den Blick von der Gestalt lösen, und er sah auch deren Augen.
Sie bewegten sich!
Bevor Blake diese Tatsache fassen und verarbeiten konnte, riß der Gehängte sein angewinkeltes Bein und damit auch sein Knie hoch und wuchtete es kraftvoll in den Leib des Försters.
Peter Blake spürte einen Schmerz und einen Druck wie nie zuvor in seinem Leben. Vor seinen Augen wurde es grau. Er flog zurück und landete rücklings auf dem Waldboden.
Der Kniestoß hatte ihn sehr hart erwischt. Der Förster war darauf nicht vorbereitet gewesen. Er rang nach Luft, zog die Beine an und krümmte sich. Für den Gehängten hatte er keinen Blick und sah deshalb nicht, wie er die Arme anhob und versuchte, sich mit den eigenen Händen von der Schlinge zu befreien...
***
Vor Beginn der Fahrt hatte ich noch einmal bei Luciano Goff angerufen und mir den genauen Weg zum Fundort erklären lassen. Wir wollten nicht noch erst groß durch die Gegend fahren und lange suchen. Nach einigem Hin und Her hatte mir Goff den Weg dann recht gut beschreiben können und uns viel Glück gewünscht.
Es kam nicht oft vor, daß wir von einem Gangster diese Wünsche erhielten. Aber hier ging es um andere Dinge. Kollegen von uns kümmerten sich um die normalen Verbrechen und deren Verursacher. Wir waren für Fälle da, die den Bereich des Rationalen verließen.
London hatten wir gut hinter uns gelassen. Suko wollte nicht fahren. Er rief von seinem Handy aus Shao an und sprach mit ihr über einige Weihnachtsgeschenke, die sie besorgen sollte.
»Ist auch etwas für mich dabei?« erkundigte ich mich scheinheilig
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