Astrella 02 - Brudernacht
erkennen lässt.
Derweil ist auch Schwester Benedikta hinzugeeilt. Sie nimmt das Kind an der Hand, stellt es mit einem Ruck auf die Beine.
»Du gehst jetzt sofort in dein Zimmer. Und da bleibst du!«
Ihre Entschlossenheit lässt keine Widerrede zu. Sie schleift das Kind hinter sich her. Dann ist es im Zimmer. Allein. Das Zimmer ist wie eine Höhle. Und in dieser Höhle fliegt eine Mücke um das Gesicht des Kindes. Es schnappt nach ihr, doch die Mücke ist zu schnell. Noch.
»Klar kannst du aussteigen«, sagte Maxi zu Micha, der neben ihr im Bett lag, und nahm einen neuerlichen Zug an der Zigarette. Noch höchstens zwei Züge, und die sich bereits krümmende Asche würde abbrechen. »Schließlich warst du noch gar nie richtig drin. Ich hab doch gesehen, wie sich damals alle über dich lustiggemacht haben.«
»Na ja«, brummte Micha. »Trotzdem …«
»Nichts: ›trotzdem‹! Und auf Danny musst du keine Rücksicht zu nehmen. Sie ist nicht mal deine Halbschwester, sondern deine Stiefschwester. Du hast nichts mit ihr zu tun. Außerdem: Vergiss nicht, dass du schon vor langer Zeit ausgezogen bist.«
»Nein, natürlich nicht«, bestätigte Micha unwillig, bevor er sich von Maxi die Zigarette zwischen die Lippen drücken ließ und ebenfalls einen Zug nahm.
»Also, siehst du«, sagte Maxi mit ruhiger werdender Stimme. »Außerdem sage ich dir nochmals klipp und klar, dass sich unsere Wege trennen, wenn du weiterhin mit diesen Idioten zu tun hast. Womöglich musst du noch selber in den Knast, weil du nicht alles angezeigt hast, was du über sie weißt. Und ich habe weiß Gott nicht vor, meinen Zukünftigen im Knast zu besuchen.«
Maxi fühlte, wie ihr neuer Freund darum kämpfte, sich ganz bewusst von seiner Vergangenheit zu lösen, wozu eben auch diese Bande gehörte. Sie jagten ihr beinahe körperliche Angst ein, besonders die magere Giftschlange, die so unberechenbar war. Wenn sie an die Nacht zurückdachte, an die gierigen Blicke dieses Widerlings, kroch ihr die Kälte noch heute den Rücken hoch. Es war ihr verdammt schwergefallen, sich abgebrüht und kaltblütig zu geben und sich langsam anzuziehen. Sie hatte es getan, ohne zu wissen, ob es richtig war, hatte befürchtet, Ängstlichkeit könnte nicht nur die Giftschlange, sondern auch die anderen Typen erst recht anmachen. Auf die Hilfe der beiden Frauen hatte sie von Anfang an nicht gezählt. Dazu waren vor allem die Blicke dieser Peggy zu eindeutig gewesen. Und was sie von Micha bisher über Danny erfahren hatte, machte ihr diese nicht sympathischer.
Nein, sie hatte keine Lust, diesen anfangs so überheblich scheinenden Micha bereits nach kurzer Zeit wieder zu verlieren. Sie fühlte, dass sie ihn liebte und er sie brauchte, um sich von seiner Vergangenheit zu lösen. Sie würde ihm dabei helfen, das stand für sie fest.
»Und jetzt sei ein braver Junge und lass uns über etwas anderes reden. Wie du weißt, habe ich nur noch ein paar Tage Urlaub und einfach keine Lust mehr auf diese Sache. Zum Schluss quatschen wir meinen ganzen Urlaub lang nur über dieses eine Thema, und so habe ich ihn mir beileibe nicht vorgestellt. Meine Meinung kennst du. Komm, lass uns irgendwohin gehen, ein Eis essen, baden oder etwas trinken oder alles zusammen. Draußen ist es so schön.«
»Also gut«, lenkte Micha ein. »Du hast ja recht. Aber vorher möchte ich hier noch etwas Schönes machen, und zwar mit dir ganz allein.«
Kriminaloberkommissar Willibald Kramer, 39 Jahre alt, von gedrungener Statur, mit grauen Augen unter dichten Augenbrauen und kräftigem Haarwuchs, der die beginnende Heckglatze jedoch nicht verstecken konnte, saß bei Zillmann im Büro. Sie unterhielten sich über das Verbrechen am Oberhofer Weiher.
»Konntet ihr bereits mit den beiden reden?«
»Nur kurz mit Julia Herschberger. Tim Maier liegt immer noch im Koma. Julia sprach von mehreren jungen Leuten, darunter auch Frauen. Immer wieder sagte sie: ›Schwarz, schwarz.‹ Leider hat sie neben dem schweren Schock auch teilweisen Gedächtnisverlust. Das hat mir der behandelnde Arzt mitgeteilt. Irgendwelche Prognosen dazu, ob sich das wieder legt, konnte oder wollte er mir nicht geben. – Die beiden sehen schlimm aus.«
Zillmann sah seinen Kollegen nachdenklich an. Sie arbeiteten bereits seit knapp 15 Jahren zusammen und waren Freunde. Als sein Vorgänger in den Ruhestand gegangen war und ein Nachfolger gesucht wurde, waren nur Kramer und er selbst in die engere Wahl gekommen. Harry Zillmann
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