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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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bedeutungsvolle Blicke
getauscht wurden. Dann vernahm er wieder die erste Stimme: »Aus welcher
Himmelsrichtung bist du hergekommen?«
    »Osten.«
    »Beschreib deine Stadt.«
    »Nun ja, es heißt, es sei die
einzige, die letzte von allen. Sie liegt etwa einen Tagesmarsch von hier.«
    »Asylon«, murmelte der Mann über
ihm.
    »Asylon? Ist das der Name, den
ihr dafür gebraucht?«, fragte Torn.
    »Ich glaube, du kannst deinen Fuß
wegnehmen, Beck«, sagte der andere Mann, und Torn spürte tatsächlich, wie der
Druck in seinem Nacken daraufhin verschwand.
    Vorsichtig drehte er sich um. Im
Licht der untergehenden Sonne standen ihm ein halbes Dutzend Männer in Tierpelzen
gegenüber. Die meisten waren etwa in seinem Alter. Sie trugen Bärte, ihre Haare
waren lang und verfilzt, und ihre Gesichter starrten vor Schmutz. Alle Männer
waren mit Steindolchen bewaffnet, die meisten zudem noch mit jeweils einem
Holzspeer, nur einer hatte einen Bogen in der Hand, auf dessen Sehne ein Pfeil
lag.
    Der Kerl, der ihm am nächsten
stand und dessen Fuß er im Nacken gehabt hatte, musste der Anführer der kleinen
Gruppe sein. Seine Augen waren leuchtend blau.
    »Asylon ist der Name derer, die
die Stadt erbaut haben, auf den Mauern einer anderen, älteren Stadt«, sagte er
in einem Tonfall, als spräche er zu einem Kind. »Das war vor etwa dreißig
Jahren.«
    Torn richtete sich mühsam auf und
rieb sich die Ellenbogen. »Woher weißt du das?«
    Statt eine Antwort zu geben,
verzog der Mann die Lippen zu einem Grinsen. Dann senkte er den Speer, schob
eine Hand unter den Pelz, den er als eine Art Weste trug, und holte einen
kleinen Gegenstand hervor, den er an einer einfachen Schnur um den Hals trug.
    Ein Nazar.

    Saïna erreichte das
Ende des Säulensaals. Vor ihr erhob sich das Portal, der Zugang zu Vanderbilts
Vorzimmer. Sie hob die linke Hand; sie zitterte. Kein Wunder. Alles in ihr
schrie danach umzukehren und wegzulaufen. Aber sie konnte Poosah nicht einfach
ihrem Schicksal überlassen.
    Wie kannst du
nur so sicher sein, dass sie überhaupt noch lebt?, wisperte ihr eine
weniger edel gesinnte Stimme in ihrem Kopf zu.
    Sie schüttelte den bösen Gedanken
ab und versuchte sich mit einem Blick auf die Pistole in ihrer Rechten Mut
einzuflößen, doch in ihrer Hand wirkte die Waffe nur wie ein klobiger
Fremdkörper, nicht wie etwas, mit dem sie ihr Leben und das des Mädchens
verteidigen konnte. Es fröstelte sie. Bei jedem Laut eines fallenden Tropfens
aus der weiten Halle hinter ihr zuckte sie zusammen.
    Okay, sagte
sie sich, du musst jetzt da rein, bevor dich die Angst
auffrisst!
    Sie stopfte die Pistole in ihre
Hosentasche und stemmte beide Hände gegen eine der schweren Türhälften, die
sich knarrend öffnete. Der Gedanke an das, was sie wahrscheinlich zu sehen
bekommen würde, erfüllte sie mit Widerwillen, und sie wollte kaum den Blick zur
Seite wenden, dorthin, wo der Schreibtisch zur Hälfte hinter einer Stellwand
verborgen war. Doch als sie sich zwang, es dennoch zu tun, erlebte sie eine
Überraschung.
    Der Schreibtisch war leer.
    Misstrauisch, in der
schrecklichen Erwartung, das, was sie sah, könnte sich als grausamer
Trugschluss erweisen, trat sie an das schwere Möbelstück heran. Aber da war
nichts. Der Körper der Frau war entfernt worden. Sogar das Blut war beseitigt
worden. Nur kleine Löcher in der Tischplatte kündeten noch von dem, was Saïna
bei ihrem letzten Besuch vorgefunden hatte. Irgendjemand hatte aufgeräumt.
Irgendjemand? Sie wusste genau, wer. Aber warum? Wollte er sie in trügerische
Sicherheit wiegen. Saïna wurde fast schlecht bei dem Gedanken, dass er möglicherweise
gerade nur eine Tür weiter in seinem Büro saß und auf sie wartete wie eine
Spinne in ihrem Netz.
    Dann fiel ihr Blick auf die Akte,
die in der Mitte des Schreibtischs lag. Die war ihr das letzte Mal nicht aufgefallen.
Irgendjemand hatte sie so positioniert, dass die Aufschrift aus ihrer
Perspektive vor dem Schreibtisch lesbar war.
    SecuCorp –
Dienstakte Edina Hoff – Zweitausfertigung stand in fett gedruckten
Buchstaben auf dem Deckel. Eine seltsame Faszination ging von diesem Namen aus.
Er berührte irgendetwas in ihr, setzte etwas in Bewegung, wie ein altes
Uhrwerk, das nach einer Ewigkeit des Stillstands zu neuem Leben erwacht. Sie
konnte nicht anders, als danach zu greifen und die Aktenmappe aufzuschlagen.
    Der Anblick der ersten Seite
jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Ein paar persönliche Daten – und in
der linken

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