Aszendent Blödmann
renoviert werden sollten, in sogenannte Mottozimmer zu verwandeln. Eine Romantik-Suite, eine Safari-Lodge, ein Zimmer im Stil von Tausendundeiner Nacht und ähnliche Ansätze seien im Gespräch gewesen. Wie Marianne, die bei diesem Brainstorming den Kaffee und, wie ich stark annahm, auch die Plätzchen serviert hatte, zu berichten wusste, war Ilka von Kais Vorschlag hellauf begeistert gewesen.
Was mir an Kais Idee am meisten missfiel, war die Tatsache, dass sie nicht von mir stammte. Denn je länger ich darüber nachdachte, desto besser fand ich sie. Originelle Mottozimmer, sofern sie stilvoll und nicht kitschig eingerichtet waren, stellten eine prima Möglichkeit dar, sich von der Konkurrenz abzuheben, ohne ein allzu großes finanzielles Risiko einzugehen. Man konnte erst einmal mit zwei oder drei Zimmern starten und später, falls sich das Konzept bewähren sollte, mit weiteren Suiten nachziehen.
Es war wirklich zum Verrücktwerden! Kai war gerade mal ein paar Tage da, und schon hatte er sich im Hotel unentbehrlich gemacht. Vor allem die männlichen Kollegen standen Schlange, um sich bei ihm Tipps zu holen, wie sie ihren fahrbaren Untersatz auf Vordermann bringen konnten. Unter den Autofreaks wurde er bereits als echte Koryphäe in Sachen Autotuning gehandelt. Sicher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis an unserer Bürotür ein Schild mit der Aufschrift PIMP MY CAR hängen würde.
Trotz dieser Nebenbeschäftigung schien ihm immer noch genügend Zeit zu bleiben, mir das Leben schwer zu machen. Beim Kampf um den Abteilungsleiterjob hatte ihm die Idee mit den Mottozimmern wichtige Punkte, wenn nicht sogar einen stattlichen Vorsprung eingebracht. Na toll! Während der feine Herr sich auf kreative Höhenflüge begab, durfte ich die Drecksarbeit erledigen. Die Imagebroschüre musste dringend noch einmal überarbeitet werden, am kommenden Tag sollte das Fotoshooting stattfinden. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Und obwohl ich mich am liebsten in eine Ecke verkrochen hätte, um meine Wunden zu lecken und mich in einer Pfütze aus Selbstmitleid zu suhlen, musste ich unbedingt Vollgas geben, damit Kai mich nicht abhängte.
Seufzend straffte ich die Schultern. Es half ja alles nichts. Ich rief mir in Erinnerung, was mein Vater mir früher in schwierigen Situationen immer geraten hatte: Kopf hoch und Brust raus – brusttechnisch war da nicht viel, was ich hätte rausstrecken können, und so betrat ich hoch erhobenen Hauptes das Hotel. Dort brummte es zu dieser frühen Uhrzeit bereits wie in einem Bienenstock. Ein Tross von Zimmermädchen schwärmte gerade aus, um die Zimmer für die Neuankömmlinge auf Vordermann zu bringen. Neben dem üblichen geschäftigen Treiben, der An- und Abreise von Gästen und dem stetigen Hin und Her der Mitarbeiter meinte ich jedoch an diesem Morgen noch etwas anderes wahrzunehmen: eine eigenartige Spannung. Eine nervöse Unruhe, die das ganze Haus erfasst zu haben schien. Möglicherweise bildete ich mir das aber auch nur ein und hörte die Flöhe husten. Ich war nervös und leicht reizbar. Schon das Pfeifen des Wasserkessels hatte mich in der Frühe schier in den Wahnsinn getrieben.
»Guten Morgen, Verena«, begrüßte ich meine Kollegin.
»Morgen, Morgen«, antwortete sie abwesend. Anstatt mich dabei anzusehen, beäugte sie ihr Spiegelbild in dem chromglänzenden Schild hinter der Rezeption. Tztztz, jetzt arbeiteten wir schon so lange zusammen, und mir war noch nie aufgefallen, wie eitel Verena war.
Kopfschüttelnd machte ich mich auf den Weg zum Aufzug. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, wann immer es ging, die Treppe zu nehmen. Um mich fit zu halten und Kalorien zu verbrennen. Aber an diesem Tag pfiff ich auf alle guten Vorsätze. Ich fühlte mich so groggy, dass ich spätestens im ersten Stock vor Schwäche und Erschöpfung zusammengebrochen wäre – was nicht weiter verwunderlich war. Nachdem ich mich die halbe Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, ohne ein Auge zuzutun, war ich im Morgengrauen endlich eingeschlafen. Ein böser Fehler, denn anschließend wurde ich von schlimmen Albträumen gequält.
Plötzlich war ich wieder die achtzehnjährige Schülerin, die jede Menge Pfunde und Komplexe mit sich herumschleppte. Ich befand mich in der Mädchenumkleide der Turnhalle, wo es wie üblich nach Schweiß und Moder roch. Irgendwie hatte ich es geschafft, die verhasste Sportstunde zu überstehen, nun wartete die nächste Tortur auf mich. Während alle anderen
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