Aszendent Blödmann
…«
Zustand? Nun ja, offen gestanden wunderte ich mich selbst, dass sich die Aufregung der letzten Tage noch nicht auf der Waage bemerkbar gemacht hatte. Normalerweise war ich ein Frustesser, der in Krisenzeiten sofort zum Sturm auf die feindliche Festung Kühlschrank blies. Doch auch wenn es verdammt viel Selbstbeherrschung kostete – in diesem Punkt hatte ich mich bislang tapfer zurückgehalten.
»Danke für das Kompliment, aber die Figur ist ausnahmsweise nicht das Problem.« Unschlüssig humpelte ich vor dem Spiegel auf und ab. Die Pumps, die Marie für mich passend zum Kostüm ausgewählt hatte, waren ein echter Hingucker, nur die Höhe der Absätze bereitete mir Sorgen. Mein lieber Scholli, wer auf solchen Stelzen lief, musste echt schwindelfrei sein!
»Was hältst du von den Schuhen?«, wollte Marie wissen. »Spitze, oder? Die machen wirklich ein tolles Bein.«
Wenn sie damit »Gipsbein« meinte, musste ich ihr recht geben. Aber ich wollte nicht undankbar erscheinen, deshalb beließ ich es bei einem vagen Kopfnicken. Es gab zwei verschiedene Arten von Schuhen. Die einen waren zum Laufen da, die anderen – und dazu zählten die Exemplare an meinen Füßen – waren lediglich zum Anschauen entworfen worden. Echte Sammlerstücke, die atemberaubend gut aussahen und Frauenherzen nicht nur aufgrund des Preises schneller schlagen ließen. Insgeheim hatte ich sie »Sitzschuhe« getauft. Wenn man es darüber hinaus schaffte, darauf zu laufen, war das ein schöner Nebeneffekt. Mir wollte dieses Kunststück allerdings nicht so recht gelingen. Unsicher stakste ich unter Maries kritischem Blick vor dem Spiegel auf und ab.
»Was soll das Kostüm denn kosten?«, fragte ich vorsichtig.
»Vierhundertsechzig.«
»Autsch.« Ich zog scharf die Luft ein. Nach dem Preis für die Folterinstrumente an meinen Füßen wagte ich gar nicht erst zu fragen. »Mist, da wird der Urlaub wohl dieses Jahr etwas kürzer ausfallen müssen.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, protestierte Marie, während sie eine Bluse, die ein wenig schief auf dem Bügel hing, akkurat ausrichtete. »Weißt du was, ich leihe dir die Sachen einfach.«
»Das würdest du tun?«
»Klar, kommt ja nichts dran. Nach dem Fotoshooting bringst du mir das Kostüm und die Schuhe einfach wieder zurück.«
»Wird gemacht«, versprach ich.
»Du siehst fantastisch aus«, lobte Marie. »Allerdings …«
»Allerdings was? Komm, jetzt sag schon! Immer raus mit der Sprache!«
»Ein bisschen Farbe im Gesicht könnte nicht schaden. Um die Nase herum siehst du ziemlich käsig aus.«
Vor der Arbeit war ich in Eile gewesen, deshalb hatte ich im Auto lediglich etwas Lipgloss und ein wenig Lidschatten aufgetragen. Und der Schreck am frühen Morgen hatte sich garantiert auch nicht positiv auf meinen Teint ausgewirkt.
»Kein Problem. Das haben wir gleich«, versprach Marie und zauberte unter dem Ladentisch ein Beautycase hervor. Zumindest nahm ich an, dass es sich um ein Beautycase handelte, denn der Größe des Behältnisses nach zu urteilen, hätte sich im Inneren ebenso gut das Reisegepäck einer vierköpfigen Familie oder ein toter Bernhardiner befinden können.
»Augenringe will niemand sehen«, plauderte Marie munter weiter, während sie die Schlösser aufschnappen ließ und mir freien Blick auf unzählige Farbtöpfchen, Stifte, Tuben und Pinsel gewährte, »außer in problemorientierten Filmen mit voller Punktzahl in der Kategorie Anspruch.«
Da musste ich Marie wohl oder übel zustimmen. Noch so eine Sache, an der Kai die Schuld trug. Seit er auf der Bildfläche erschienen war, hatte meine Schlafqualität stark gelitten. Insofern war es nicht besonders verwunderlich, dass ich morgens nicht frisch und ausgeruht aussah.
»Augen zu, Mund zu und schön still halten.«
Marie machte sich an die Arbeit, und ich hatte das erste Mal an diesem Morgen Zeit, einen Moment nachzudenken. Wo war dieser vermaledeite Zettel, den mir Yvonne auf den Schreibtisch gelegt hatte, nur hingeraten? Ich hasste nichts mehr, als den neuen Tag mit Chaos und Unordnung zu beginnen. Deshalb hinterließ ich meinen Schreibtisch abends immer tipptopp aufgeräumt. Spätestens kurz vor Feierabend hätte mir Yvonnes Nachricht also in die Hände fallen müssen, es sei denn … Es sei denn, ein Luftzug hatte sie vom Schreibtisch geweht. Oder … Hinter meinen Schläfen begann es zu pochen. Ich traute mich kaum, den Gedanken zu Ende zu führen. Oder jemand hatte dafür gesorgt, dass ich den Zettel
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