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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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könne sich entspannen, sie könne mit zu ihm kommen, und sie könnten sich betrinken und das Ende dieser ganzen verdammten, scheußlichen Angelegenheit feiern. Insgeheim war sie froh. So hatte sie Gelegenheit, der Stille zu entkommen, die auf den Feldern rund um Peppercorn Cottage anzuschwellen schien.
    Sie blieben lange auf und tranken einen süßen Dessertwein für zehn Euro die Flasche, den Steve in einem Supermarkt in Bergerac gefunden hatte. Sie hatten zweimal Sex – einmal voll bekleidet auf der Arbeitsplatte in der Küche und sehr viel später noch einmal im Bett unter der Decke, als sie sehr betrunken waren und Sally abwechselnd Schluckauf und unbezwingbare Kicheranfälle bekam. Oberflächlich betrachtet schien alles normal zu sein. Trotzdem öffnete sie, bevor sie endlich einschlief, die Fenster, damit die ungewohnten Stadtgeräusche ins Zimmer und in ihre Träume kommen und vielleicht verhindern konnten, dass Zoë oder David Goldrab sich auf dem Feld aufrichteten und sie beim Arm packten.
    Sie wachte spät und mit einem dicken, schweren Schädel auf, und der Vormittag war so heiß wie sonst erst im Mittsommer. Sie frühstückten auf der Terrasse, tranken Preiselbeersaft und aßen frische Himbeeren. Er würde heute nach Amerika fliegen, und sie hatte gedacht, sie sei darauf vorbereitet, aber als sie nach dem Frühstück in die Diele kam und ihn im Anzug neben seinem Koffer stehen sah, fing sie plötzlich an zu frieren.
    »Was ist, wenn irgendetwas passiert? Wenn ich noch mal verhört werde? Ich weiß nicht, was ich dann sagen soll.«
    »Du wirst nicht noch mal verhört. Das passiert nicht.«
    »Und wenn jemand das Geld zurückverfolgt, das du gewechselt hast?«
    »Die Krüger-Rand? Das tun sie nicht. Glaub mir.« Er hob seinen Koffer auf. »Es wird alles gut gehen.«
    Auf der Fahrt zum Flughafen war Sally bedrückt. Der Audi musste in die Werkstatt, und deshalb hatten sie ihren Wagen genommen. Steve fuhr mit offenem Fenster und drehte das Radio auf, als gäbe es auf der ganzen Welt nichts, was ihm Sorgen machte. Sally saß geduckt auf dem Beifahrersitz, hielt ihre Handtasche auf dem Schoß umklammert und starrte durch das Fenster in die Vororte von Bristol hinaus, auf die scharfen, eckigen Konturen der schäbigen Häuser im Sonnenschein. Sie fragte sich, ob Zoë manchmal nach Bristol kam. Natürlich – sie war sicher dauernd hier. Sie war schon überall auf der Welt gewesen. Sie sah plötzlich wieder Zoës Gesicht, als sie am Küchentisch gestanden und gesagt hatte: Ich will mich entschuldigen . Sie versuchte sich vorzustellen, wie dieses Bild von ihr genommen, aus ihrem Kopf gezogen wurde wie ein grauer Faden, der aus dem Autofenster wehte und vom Fahrtwind fortgerissen wurde wie ein Geist, der sich in die Lüfte wand.
    Sie sprachen wenig, als Steve parkte und sie aus der Sonne ins Terminal gingen, durch den Check-in und die Rolltreppe hinauf. Sein Flug war schon aufgerufen worden; also ging er geradewegs zur Security. Als sie ihn zum Abschied geküsst hatte und mit gesenktem Kopf weggehen wollte, hielt er sie auf.
    »Sally?«
    Drei Schritt weit entfernt blieb sie stehen und drehte sich um. Er stand in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle und ließ die anderen Passagiere an sich vorbeigehen. Mit merkwürdigem Gesichtsausdruck rieb er seine Fingerspitzen aneinander und betrachtete sie verwundert. »Was denn? Was ist?«
    Stirnrunzelnd streckte er die Finger aus und zeigte sie ihr. »Lippenstift?«
    Sie kam zurück, und zusammen betrachteten sie den Lippenstift an seinen Fingerspitzen. Er war orangerot. »Wo kommt das her?«
    »Ich weiß nicht. Als ich dich geküsst habe …« Er legte ihr die Hand auf die Schulter, drehte sie von sich weg und schaute ihren Rücken an. »Es ist an deinem Kleid. Sieh doch.«
    Sally verrenkte den Hals und versuchte, den hinteren Teil ihres Rocks zu betrachten. Er hatte recht – das Kleid war hinten voller Lippenstift in einer sehr ausgeprägten orangeroten Farbe.
    »Bist du an irgendetwas entlanggestreift?«
    »Ich glaube nicht.« Sie verbog sich, um besser zu sehen. »Da ist eine ganze Menge davon.«
    »Du hast – du musst dich an etwas angelehnt haben. Komm her.« Steve zog ein zusammengefaltetes Taschentuch hervor und wollte an dem Kleiderstoff reiben.
    »Ist schon okay. Nicht.« Sie nahm ihm das Taschentuch aus der Hand, ließ ihren Rock fallen und schob das Taschentuch in seine Brusttasche. »Keine Angst, ich bringe das in Ordnung. Du kommst sonst zu spät.« Sie

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