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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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kleines Notizbuch, das in einzelne Rubriken aufgeteilt war: »Treiber«, »Hunde«, »Kunden«. Sie wollte die Schublade wieder schließen, als sie etwas Goldenes blinken sah. Sie ging in die Hocke und schob den Inhalt der Schublade hin und her, bis sie sehen konnte, was es war. Eine Lippenstifthülse. Sie nahm sie heraus, zog die Kappe ab und drehte den Stift heraus. Das Wenige, das noch übrig war, leuchtete in hellem Orangerot. Sie legte die Stirn an den Schreibtisch und atmete tief durch. Sie dachte an den kleinen Jungen, mit dem sie vor all den Jahren Lego gespielt hatte, und sie fragte sich, warum er als Erwachsener so wütend und gefährlich geworden war. Und was er von ihr wollte.
    Von vorn kam ein Geräusch. Nichts Lautes, nur ein Knistern. Leise schloss sie die Schublade, richtete sich auf und ging in die Diele, um zur Haustür zu schauen. Der Wind draußen war stärker geworden. Er ließ die Gardine oben am Treppenabsatz flattern, und ein Schatten wie von schlagenden Flügeln fiel auf den Boden in der Diele. Eine Gestalt bewegte sich draußen vor der Milchglasscheibe.
    Sie warf einen Blick hinter sich in die Küche. Die Tür stand noch offen. Wieder hörte sie ein leises Geräusch, und dann zerbrach die Person draußen die Stille und klopfte an die Tür. Der Lärm hallte durch das Haus und elektrisierte Sally. Lautlos schlich sie hinaus, wie sie hereingekommen war, von der Küche in den Garten und dann mit schnellen Schritten geraden Weges weg vom Haus, sodass man sie von vorn nicht sehen konnte. Sie schob die Hände in die Taschen und hielt den Kopf gesenkt, und erst zehn Schritte vor der Lücke in der Hecke fing sie an zu rennen.
    Sie rannte, so schnell sie konnte, und wühlte in ihren Taschen nach dem Autoschlüssel. Die Dornen in der Hecke zerrten an ihr, und der Kies auf dem Parkplatz ließ sie stolpern. Schwitzend und zitternd erreichte sie den Wagen. Sie riss die Tür auf und ließ sich hineinfallen.
    Als sie den Schlüssel ins Schloss fummelte, hörte sie Steves Stimme. Du wirst nicht bestraft werden .
    »Steve, da hast du dich geirrt«, murmelte sie und startete den Motor. »Und wie du dich geirrt hast.«

27
    Zoë stand mit verschränkten Armen auf der Schwelle, hatte dem Cottage den Rücken zugewandt und wartete darauf, dass jemand öffnete. Sie betrachtete den Garten. Er sah wüst aus mit dem ausgewucherten Gras und einer verfallenen Garage, deren Holzverschalung verrottet herabhing. Drüben am Eingang, wo ein Gemüsebeet umgegraben worden war, stand ein Stapel Drahtkäfige: Fuchsfallen. Die brauchte ein Jagdhüter speziell zu dieser Jahreszeit. Nach dem Winter mussten die Füchse zusehen, dass sie wieder zu Kräften kamen. Und weil gleichzeitig die jungen Fasane jetzt am verwundbarsten und noch nicht groß genug waren, um in die Bäume zu flattern, sah man oft Jagdaufseher bei der »Lampenjagd«: Sie holperten mit ihren Land Rovern über die Felder und richteten starke Scheinwerfer in die Dunkelheit, um die Füchse aus den Hecken zu locken und sie dann mit ihren Zwölfer-Schrotflinten einen nach dem andern zu erlegen.
    Niemand kam an die Tür; also bückte sie sich und spähte durch den Briefschlitz. Sie sah eine kleine Diele mit dunklem Holzboden und einen gemusterten Läufer auf der schmalen Treppe. Drinnen war niemand. Merkwürdig. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass da jemand im Haus war. Sie sah auf die Uhr. Die meisten Leute wären jetzt bei der Arbeit, aber ein Jagdhüter bestimmte selbst über seine Zeit. Wenn Goldrab in der Saison viele Fasanentreibjagden veranstaltet hatte, mussten sie die Vögel im großen Maßstab züchten. Der Tierschutzbewegung zum Trotz taten das viele hier, und um diese Zeit gab es Dutzende von Hennen in verschiedenen Stadien des Brütens. Der Jagdhüter konnte überall sein.
    Das Plätschern von Wasser drang zu ihr, ein leises Geräusch irgendwo hinter dem Cottage. Sie ging seitlich um das Haus herum und sah einen verfallenen Mühlenschuppen, aus Stein gemauert und mit Schiefer gedeckt. Er spannte sich rechtwinklig zum Haus über einen Bach, der unter den Fundamenten hallend durch einen Tunnel rauschte. Die gerahmte Rotholztür stand offen, und man sah den dünn mit Stroh bestreuten Zementboden im Innern der Mühle.
    »Hallo?«, rief sie. »Hallo?«
    Niemand antwortete, und nichts rührte sich. Sie hörte nur das ferne Gurren von zwei Ringeltauben und das gleichmäßige Grundrauschen des fließenden Wassers.
    »Hallo?«
    Sie betrat die Mühle. Die Luft war warm

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