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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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arbeitete.
    Keuchend rollte sie sich auf die Seite und sah sich panisch nach etwas um, womit sie sich verteidigen könnte. Unter dem Bett lagen die Dinge, die man bei einem alleinstehenden Mann erwartete: Staubflocken, eine Unterhose, ein Stapel Männermagazine. Und zusammengeknüllt neben den Zeitschriften, nur eine oder zwei Handbreit von Zoës Kopf entfernt, eine Weste aus pinkfarbenem Fleece.
    Zoë erstarrte, als sie sie sah, und das Herz schlug ihr bis in die Ohren. Eine pinkfarbene Weste.
    Die hatte Lorne Wood an dem Abend getragen, als sie ermordet wurde.

28
    Es war seltsam, jedes Gefühl dafür verloren zu haben, wer man war und was richtig und was falsch war. Sally kauerte in dem feucht riechenden Wald in der Stille zwischen den Bäumen, und ein Gedanke ging ihr immer wieder durch den Kopf: Wie sehr beneidete sie Millie. Ausgerechnet Millie. Millie, die imstande war, sich, wenn sie Geld brauchte, nicht den Kopf zu zermartern, sondern es sich vom nächstbesten Anbieter zu leihen. Millie, die in das Leben eines Menschen treten und wieder verschwinden konnte, ohne zweimal darüber nachzudenken. Sie beneidete sie um das einfache Denken im Teenageralter – als man noch wusste, warum man tat, was man tat, und die Kette der Argumente immer noch bis zu ihrem Anfang zurückverfolgen konnte. Als man Beweggründe, Ziele und moralische Rechtfertigungen säuberlich und ordentlich aufgereiht im Kopf hatte – bevor sie anfangen, sich ineinander zu verknoten und in ein dickes Wollknäuel zu verwandeln.
    Sie scharrte mit bloßen Fingern in der Erde unter dem Baum, wühlte im warmen, flockigen Laub des letzten Jahres und machte sich die Fingernägel schmutzig. Das Gericht, das sie in ihrem Kopf zusammengerufen hatte, damit es Kelvin und Sally als Mörder Goldrabs gegeneinander abwog, war sich einig gewesen. Kelvin Burford war als gewalttätig bekannt, er hatte für David gearbeitet, und er hatte schwere psychische Probleme. Natürlich hatte er David umgebracht. Natürlich konnte es die Haushälterin nicht gewesen sein, diese höfliche, geplagte Frau mit dem netten Akzent und der halbwüchsigen Tochter auf einer Privatschule. Und sowieso gab es Beweise.
    Sie fand, was sie suchte, ließ sich auf die Fersen zurücksinken und legte es auf ihren Schoß. Es war die Blechdose. Sie hob sie wieder hoch und blies die Erde weg. Die Gegenstände darin klapperten. Davids Zähne. Sein Ring. Sie nahm den Deckel ab und starrte die Sachen an. Steve hatte aus dem Abflugterminal des Flughafens in Seattle angerufen. Er hatte sein Meeting zu Ende gebracht und im Hotel vier Stunden geschlafen, und dann war er zum Flughafen gefahren und hatte einen früheren Rückflug nach England gebucht. Er würde Seattle in vier Stunden verlassen und in Heathrow landen. Vor morgen früh würde er aber nicht zu Hause sein. Sie hatte ihm von dem Lippenstift in Kelvins Haus erzählt – und dass es Kelvin gewesen sein musste, der den Autositz beschmiert hatte.
    »Wie gesagt, ich komme schon allein damit klar. Du brauchst nichts abzukürzen.«
    »Ich weiß, dass du es allein schaffst, aber das brauchst du nicht. Du wirst Dinge tun müssen, die du nicht allein tun möchtest.«
    »Dinge?«
    »Sally, du und ich, wir haben schon Dinge getan, von denen wir beide nicht geahnt haben, dass wir sie jemals würden tun müssen. Und es hört jetzt nicht auf. Wir müssen den Weg bis zum Ende gehen.«
    Wir müssen den Weg bis zum Ende gehen …
    Sie wusste, was er meinte. Es gab Stellen im Cottage des Jagdhüters, wo sie die Zähne hinterlegen konnte. Sie konnte sie vergraben, oder sie konnte warten, bis Kelvin wegginge, und sie dann im Haus verstecken. Irgendwo, wo er niemals nachsehen würde, die Polizei aber schon. Und wenn sie schon mal da wäre, könnte sie den Teil des Hauses durchsuchen, den sie sich beim ersten Mal nicht hatte ansehen können, um sich zu vergewissern, dass es wirklich keine Fotos von ihr und Steve auf dem Parkplatz gab. Genau das würde Zoë tun, weil es clever war. Zoë würde es tun, und sie käme damit durch.
    Sie stand auf, drückte den Deckel auf die Dose, steckte sie in die Jackentasche und suchte ihren Autoschlüssel. Wenn sie es jetzt nicht täte, würde sie es nie tun. Mit gesenktem Kopf ging sie den Weg zum Auto hinauf, öffnete die Tür, warf die Dose auf den Beifahrersitz und stieg ein. Sie ließ den Motor an und fuhr rückwärts durch den kleinen Waldweg zurück, und durch die klapprigen hinteren Fenster drang der vertraute Benzindunst

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