Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
herein.
29
Die Dielen knarrten. Kelvin spazierte entspannt über den Treppenabsatz, schlenderte heran, als sei er an einem sonnigen Tag draußen im Park. Zuerst ging er ins vordere Schlafzimmer, und Zoë hörte, wie er die Kartons umherschob und dabei vor sich hin summte. Er hatte alle Zeit der Welt.
Sie griff nach der Fleece-Weste, zog sie über die Dielen zu sich heran und tastete die Taschen ab. Sie fand ein Handy, zog es heraus und betrachtete es mit rasendem Puls. Ein weißes iPhone. Es gehörte Lorne. Sie legte den Kopf in den Nacken, und ihr Herz schlug wie ein Presslufthammer. Sie hatte recht gehabt. Recht. Als sie in den Diskussionen mit Ben und Debbie darauf bestanden hatte, dass Lornes Mörder kein Teenager war, hatte sie recht gehabt. Und sie hatte recht gehabt, als sie sich für Goldrab und die Pornoindustrie interessiert hatte: Lorne hatte Kelvin entweder über Goldrab oder in den Nightclubs kennengelernt. Anders konnte ein Mädchen wie sie nicht mit Kelvin in Kontakt kommen.
Seine Schritte hielten in der Tür inne. Sie versuchte das Telefon einzuschalten, aber der Akku war leer. Sie schob es zurück in die Westentasche, und in dem Moment sah sie seine blauen Gummistiefel in der Tür. Normalerweise hätte sie ein Polizeifunkgerät bei sich, doch diesmal hatte sie es im Wagen gelassen. Verstohlen schob sie die Hand in die Tasche, um ihr eigenes Handy herauszuholen, die Gummistiefel kamen allerdings immer näher, und ehe sie nachsehen konnte, ob das Telefon Netzverbindung hatte, bückte Kelvin Burford sich, und seine Hände erschienen und packten sie bei den Fußgelenken. Sie wollte sich an den Latten des Bettrahmens festkrallen und ließ in ihrer Hast das Telefon fallen. Es rutschte kreiselnd über den Boden und prallte gegen die Fußleiste. Kelvin stemmte sich mit einem Fuß gegen das Bettgestell und zerrte an ihren Beinen. Sie hielt sich am Lattenrost fest. Als er wieder an ihr riss, lockerte sich ihr Griff, und der Nagel an ihrem Zeigefinger brach ab. Sie ließ los, und er zog sie bäuchlings über den Boden, sodass ihr T-Shirt hochrutschte.
Dann ließ er auf einmal polternd ihre Beine fallen. Sofort schlug sie beide Hände flach auf den Boden, sprang auf und fuhr herum, zähnefletschend und mit ausgebreiteten Händen. Er stand an der Wand, schaute sie verdutzt an und hob ratlos die Hände, als wisse er nicht genau, ob er lachen sollte oder nicht.
»Scheißkerl.« Sie stieß mit den Händen nach ihm, ließ sie flattern wie Vögel. Mit einer Abwehrbewegung versuchte er, sie von seinen Augen fernzuhalten, und sie nutzte die Gelegenheit, ihm einen Fußtritt zwischen die Beine zu verpassen. Sie traf, und er krümmte sich zusammen, prallte schwer gegen sie und hätte sie beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht, doch sie wich ihm tänzelnd aus. Er taumelte ein paar Schritte mit gesenktem Kopf vorwärts, als wollte er gegen den Kamin anrennen. Sie drehte sich um, verschränkte beide Hände über seinem Kopf zur Faust und ließ sie kraftvoll niederfahren. Sie hatte auf sein Genick gezielt, aber sie traf ihn zwischen den Schulterblättern. Er brüllte vor Schmerz auf, bog sich herum und ruderte mit einer Hand in der Luft, um nach ihrem Bein zu greifen. Damit hatte sie nicht gerechnet – du hast gegen Regel Nummer eins verstoßen: Warte niemals ab, um die Wirkung des ersten Schlags zu sehen, sondern lass sofort den zweiten folgen . Er packte sie in der Kniekehle und zog so schnell das Bein an sich, dass sie die Balance verlor und mit dumpfem Schlag auf dem Rücken landete.
Er ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Sein Gesichtsausdruck erschien beinahe gelangweilt – als sei das alles viel zu anstrengend, zu ermüdend –, und er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Ihr Kopf wurde von der Wucht des Schlags zur Seite geschleudert. Etwas flog ihr aus der Nase. Er packte ein Büschel Haare und hob ihren Kopf vom Boden – sie hörte das leise Ploppen von hundert Haarfollikeln, die aus der Haut gerissen wurden –, und dann holte er mit der Faust aus und schlug noch einmal zu.
Er ließ ihren Kopf fallen. Sie blieb liegen und keuchte gepresst, und mit verschwommenen Augen starrte sie auf einen Punkt, ungefähr zwanzig Zentimeter vor ihrem Gesicht: Am unteren Rand der Tür war ein Blutspritzer erschienen. Sie hörte ein Keuchen; es klang, als drücke jemand die Luft aus diesem Zimmer. Das Licht, das durch die Glastür hereinfiel, war plötzlich schmierig und flimmerte, als werde es auf irgendeine Weise
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