Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
doch etwas nicht.«
»Es ist alles in Ordnung«, fauchte Sally. »Es gibt kein Problem, verdammt. Und jetzt frag mich bitte nicht noch einmal.«
Millie wich mit offenem Mund ein kleines Stück zurück. Einen Moment lang sah es aus, als wolle sie etwas sagen, und Sally trat einen Schritt vorwärts und wollte sich entschuldigen. Aber Millie machte auf dem Absatz kehrt, marschierte durch das Schultor zurück und ließ Sally im Regen stehen, zitternd unter ihrem Schirm.
Scheiße, dachte sie und suchte in ihren Taschen nach dem Autoschlüssel. Das Leben bekam wirklich immer mehr Ähnlichkeit mit der Hölle.
38
»Ich will das nicht.« Zoë zog die Vorhänge zu und schaltete die Deckenlampe ein. »Du zwingst mich dazu. Ich bitte dich – von Mensch zu Mensch. Versteh einfach, dass ich das nicht tun will.«
Ben saß auf dem Stuhl am Ende des Zimmers und nickte dumpf. »Ich verstehe dich, und ich schätze dich als Mensch, Zoë. Vielleicht mehr, als du dich selbst.«
Sie blieb vor ihm stehen, schnallte die Stiefel auf und schleuderte sie beiseite. Sie zog den Reißverschluss ihrer Hose herunter und stieg heraus. Ihr Slip lag noch bei Kelvin auf dem Boden; deshalb trug sie einen von Sally, der ihr zu weit war und um ihre Hüften schlotterte, als sie sich auszog. Sie zog ihn hoch, knöpfte ihre Bluse auf und warf sie auf den Boden, und dann trat sie einen Schritt zurück und ließ die Arme hängen. Sie kam sich grenzenlos lächerlich vor.
Ben beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und sah sie mit erhobenem Kopf an. Mit ausdruckslosem Blick und leicht geöffnetem Mund betrachtete er ihr Gesicht, die geschwollene Nase, die Blutergüsse auf den Wangen. Seine Aufmerksamkeit wanderte herunter über die nackten, von Dornen zerkratzten Arme und zu den Striemen und Narben. Zoë streckte die Arme aus und seufzte. »Die hier.« Sie legte einen Finger auf die scheußliche Kruste, die von letzter Woche übrig geblieben war, als sie sich gekratzt hatte, nachdem er ihr gesagt hatte, dass er mit Debbie geschlafen hatte. »Die ist neu, die habe ich mir selbst zugefügt. Und die hier? Die sind älter, aber sie stammen auch von mir.«
Ben starrte sie fassungslos an.
»Das da.« Behutsam betastete sie einen neuen Bluterguss an ihrem Arm, und sie dachte an den Hass, der ihn verursacht hatte – an Kelvins Drang, ihr wehzutun. Sie fragte sich, wie ihr Leben sich dermaßen verkorkst hatte entwickeln können, dass sie auf den Gedanken gekommen war, sich so etwas selbst beizubringen. »Das stammt von heute Morgen.«
»Heute Morgen?«
»Als ich vergewaltigt wurde.«
Lange, sehr lange, war es still. Dann ließ Ben den Kopf sinken, legte die Hände an die Schläfen und verdrehte die Augen, als habe er die schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens. Einen Moment lang dachte sie, er werde aufstehen und gehen. Dann begriff sie, dass er lautlos weinte. Seine Schultern bebten. Nach einer Weile wischte er sich wütend mit der flachen Hand über das Gesicht und sah sie an. In seinem Blick lag so viel Trauer, so viel Bedauern, so viel Wut, dass sie sich abwenden musste.
Sie setzte sich an den Tisch, klemmte die Hände zwischen die Knie und starrte auf die blauen Flecken an ihren Oberschenkeln. Sie spürte jeden Zoll ihres geschundenen Körpers – das leise, aber durchdringende Stechen an all den Stellen, wo Kelvins Finger ihre Haut berührt hatten. Etwas knarrte – Ben stand von seinem Stuhl auf. Er kam zum Tisch, sank neben ihr in die Hocke und legte die Hände sanft auf ihre Knie.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Du brauchst nicht nett zu mir sein. Das ertrage ich nicht.« Ihre Kehle wollte sich nicht so weit öffnen, dass sie es erklären konnte. »Es ist schon in Ordnung. Ich meine, es ist ja nicht deine Schuld. Woher solltest du wissen, dass ich der jämmerlichste Mensch auf Erden bin?«
»Das stimmt nicht. Das ist doch nicht deine Schuld.«
Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippe. Eine einzelne Träne kam aus ihrem Auge und rollte über die Wange. »Ben«, sagte sie mir großer Mühe, »du wirst mir zuhören müssen. Und du wirst mir verzeihen müssen.«
39
Als Sally immer noch zitternd vor der Schule ins Auto stieg, trat eine Gestalt im Regenmantel und mit hochgeschlagener Kapuze aus dem Schatten der Schulmauer auf sie zu. Es war Nial. Er sah merkwürdig aus, entschlossen, aber zugleich nervös. Er sah sich um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand hinter ihm war, und dann kam er eilig
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