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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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nächste Nummer einzugeben. Steve meldete sich nach dem dritten Klingeln, und sie riss das Telefon ans Ohr.
    »Ich bin’s.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Es ist etwas passiert. Wir müssen reden. Du musst zu mir kommen.«
    »Okay …«, sagte er vorsichtig. »Wo bist du?«
    »Nein. Ich kann es nicht – ich meine, das sollte ich wohl nicht am Telefon sagen.«
    Es war kurz still, während Steve anscheinend nachdachte. »Okay«, sagte er schließlich, »sag’s nicht. Überleg dir sorgfältig jedes Wort. Bist du in der Nähe deines Hauses?«
    »Weiter weg.«
    »Weiter nach Süden? Weiter nach Norden?«
    »Nach Norden. Aber nicht sehr weit.«
    »Dann bist du …« Er sprach nicht zu Ende. »Oh«, sagte er dumpf. »Soll das heißen, du bist bei jemandem, von dem wir erst kürzlich gesprochen haben?«
    »Ja. Da ist ein Parkplatz. Nimm die rechte Gabelung, wenn du zum Haus kommst. Und fahr nicht vorn vorbei; da sind Kameras. Steve, kannst du … kannst du dich beeilen?«
    Sie drückte die Schlusstaste. Aus weiter Ferne wehte das Geräusch eines Autos durch die Abendluft, das auf der Straße zur Rennbahn beschleunigte. Dann schimmerten Scheinwerfer zwischen den Bäumen und kamen näher. Sally senkte den Kopf und kauerte sich zusammen, obwohl der Wagen nicht mal in die Nähe von Lightpil House kommen würde. Der Fahrer schaltete und fuhr weiter bergauf. Sie presste die Stirn an die kalte Windschutzscheibe und versuchte, sich unsichtbar zu machen. Versuchte, sich etwas Friedvolles vor Augen zu rufen. Millies Gesicht, zum Beispiel.
    Aber es gelang ihr nicht. Da war nur ein grelles Zickzacklicht, wie der Nachglanz eines Feuerwerks.
    Ungefähr zehn Minuten später blinkte ein Wagen auf der Hauptstraße nach links und bog in die kleine Seitenstraße ein. Langsam kam er die Straße herauf, die sich um den Hanging Hill herumschlängelte. Sie sah, wie die Scheinwerferstrahlen über die Landschaft strichen, rutschte von der Motorhaube herunter und kauerte sich zwischen die Sträucher am Rande des Parkplatzes, als die Lichter näher kamen. Sie bogen in den Feldweg ein, der Wagen rumpelte über den Weiderost und hielt an. Es war Steve.
    Er stieg aus. Seine Silhouette ragte hoch in den dunkler werdenden Himmel. Er zog eine Fleece-Jacke über und sah sich um. Sally löste sich aus der Hecke und blieb stehen. Sie zog die Strickjacke fest um sich, um das Blut an ihren Kleidern zu verdecken.
    »Was ist los?«, flüsterte er. »Was läuft hier?«
    Sie antwortete nicht. Mit gesenktem Kopf, die Hände unter die Achseln geklemmt, ging sie um ihren Wagen herum und führte Steve auf den Parkplatz. Er folgte ihr wortlos. Seine Schritte knirschten im Kies. Hinter dem Ford Ka blieb Sally stehen. Steve kam an ihre Seite, und sie starrten lange Zeit schweigend auf den toten David Goldrab hinunter. Sein Jogging-Shirt war hochgerutscht, und man sah den dicken, sonnengebräunten Bauch und sein blutverklebtes Haar. Sein Gesicht war starr, und sein Mund klaffte weit offen. Sally merkte, dass sie ihn immer noch riechen konnte. Ein kleiner Rest seines Wesens schwebte in der grauen Luft.
    Steve hockte sich neben den Leichnam. Er stützte sich mit seiner verbundenen Hand zögernd auf den Kies und beugte sich vor, um David ins Gesicht zu schauen. Dann wippte er auf die Fersen zurück und wischte sich die Hände ab. »Gott, o Gott.«
    »Wir hatten Streit. Er ist mir zum Wagen nachgekommen und hat mich auf den Hinterkopf geschlagen. Dann hat er mich in den Kofferraum gedrückt. Da war deine Nagelpistole, und ich musste …« Sie strich sich mit den Händen über das Gesicht und spürte die schmerzende Stelle, wo er sie gegen den Kofferraumdeckel gestoßen hatte. »Mein Gott, Steve. Es war so schnell vorbei. Ich wollte es nicht.«
    Steve ließ alle Luft auf einmal aus der Lunge. Er kam zu ihr und umarmte sie, und sie spürte seinen Puls wie einen Presslufthammer an ihrem eigenen. Hörte das entsetzliche Knistern von Davids getrocknetem Blut an ihrer Kleidung.
    »Es ist einfach passiert«, sagte sie. »Einfach so.«
    »Es ist okay.«
    »Niemand wird glauben, dass es ein Unfall war.«
    Jetzt weinte sie. Langes, gedehntes Schluchzen. Steve sagte nichts; er hielt einfach die Hände auf ihrem Rücken und strich beruhigend auf und ab. Als sie endlich aufgehört hatte, ließ er sie los und ging zurück zur Parkplatzeinfahrt. Mit den Händen in den Taschen stand er da und schaute hinaus über die Landschaft. Sie wusste, was er sah; das ganze Tal, das sich vor ihm ausbreitete.

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