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Atemlos

Titel: Atemlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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desertiert?«
    »So nennt man das wohl«, gab er zu.
    »Was haben Sie vor dem Krieg gemacht?«
    »Da war ich Fischer«, sagte er. »Mein Vater und ich, wir gingen mit einem Segelboot vor Bar Harbor auf Fang. Das ist an der Küste von Maine. Fischer war ich auch nicht gern.«
    Ein Fischer! Das war allerdings ein erstaunlicher Berufswechsel. Ich nehme an, daß nach dem gleichen unwahrscheinlichen Prinzip die meisten Matrosen der US-Marine aus Kansas kommen. Ich sagte: »Jetzt sind Sie aber ganz schön weit von der See weg.«
    »Ja, aber ich kann Ihnen eine Gegend in der Ténéré, bei Bilma, zeigen – das ist unten in Niger und über tausend Meilen vom nächsten Ozean entfernt –, wo man Hunderte von Muscheln im Sand findet, manche sind sogar sehr schön. Das Meer ist dort einmal gewesen – und wieder gegangen. Vielleicht kommt es eines Tages zurück.«
    »Sind Sie jemals wieder in den Staaten gewesen?«
    »Nein. Ich bin seit fünfunddreißig Jahren hier und will auch hier sterben«, sagte er friedvoll.
    Mokhtar blieb lange weg, fast fünf Stunden; als er zurückkam, trug er eine bereits ausgenommene Gazelle auf der Schulter. Byrne half ihm beim Zerlegen, und während der ganzen Zeit sprachen sie miteinander. Schließlich kam er zu mir herüber und blinzelte in die Sonne. »Es wird spät. Ich schätze, wir bleiben die Nacht über hier. Billson muß jetzt zwischen hier und Assekrem sein – wenn er sich überhaupt noch irgendwo befindet. Wenn das der Fall ist, treffen wir ihn morgen. Wenn nicht, machen die paar Stunden wenig aus.«
    »Einverstanden.«
    »Außerdem haben wir frisches Fleisch. Wie Mokhtar mir erzählt, hat er das Tier zwanzig Kilometer weit verfolgt und mit einem Schuß erlegt.«
    »Sie meinen, er ist zwanzig Kilometer zu Fuß gelaufen?«
    »Mehr. Er mußte ja auch zu uns zurückkommen. Aber er hat ein Stück abgekürzt. Also sagen wir: knapp dreißig. Für einen Targui ist das nichts. Mokhtar ist einer von der alten Schule. Er hat noch mit einem Vorderlader schießen gelernt.«
    Und so verbrachten wir dann die Nacht im Schatten des Ilamen. Ich lag im Freien, hatte mich mit einer Dschellabah zugedeckt, die Byrne mir lieh, und sah zu den phantastischen Sternen empor. Die Mondsichel ging auf, tat aber wenig, um den Glanz dieser fernen Lichtpunkte zu überstrahlen.
    Ich dachte über Byrne nach. Hesther Raulier hatte ihn mit Billson verglichen, hatte ihn noch so einen Spinner genannt, aber Byrnes Spinnerei unterschied sich deutlich von der neurotischen Besessenheit Billsons. Er lebte in dieser Verrücktheit, die viele weiße Männer – wenige Amerikaner, aber viele Europäer wie Doughty, Burton, Lawrence und Thesiger – schon überfallen hat: die Verlockung der Wüste. Byrnes Wesen strahlte eine Friedfertigkeit und Besonnenheit aus, die sehr tröstlich wirkte. Ich dachte auch verwundert an die Seemuscheln, die man tausend Meilen vom Ozean entfernt in der Wüste finden konnte, aber da ahnte ich noch nicht, daß auch ich solche Muscheln auflesen würde. Die Nacht war sanft und still. Ich wurde mir plötzlich der wunderlichen Ungereimtheiten in Max Stafford bewußt, diesem heißspornigen Geschäftemacher aus der City von London, der nun an einem Ort lag, der unwahrscheinlicherweise Atakor hieß, unter dem Finger Gottes, und nicht sehr weit vom Ende der Welt.
    Und plötzlich spielte London keine Rolle mehr. Lord Brinton und Andrew McGovern spielten keine Rolle mehr; Charlie Malleson und Jack Ellis spielten keine Rolle mehr; Gloria und Alix Aarvik spielten keine Rolle mehr. Die ganze kleinkarierte Geschäftigkeit unserer sogenannten Zivilisation schien von mir abzufallen wie eine abgetragene Haut. Ich fühlte mich unglaublich glücklich.
    Ich schlief ein.
    Im fahlen Licht des Morgens nahm ich Bewegungen und Geräusche wahr. Ich hob den Kopf und sah Byrne, wie er aus mitgeführten Kanistern den Wagen auftankte. Dieses metallische Geräusch hatte mich geweckt. Ich stützte mich auf und sah Mokhtar in der Wüstenmoschee, er absolvierte das Morgenritual des Islam, kniete in Richtung Osten. Ich wartete seine Gebete ab, denn ich wollte seine Frömmigkeit nicht stören. Dann stand ich auf.
    Dreißig Minuten später, nach einem Frühstück, das aus kaltem geröstetem Wildbret, Brot und heißem Minztee bestand, waren wir schon wieder unterwegs. Hinter uns lag eine lange Staubwolke über der Wüste. Nach und nach blieb die majestätische Spitze des Hamen zurück, und neue Ansichten von phantastisch geformten

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