Atemlos
Allerdings hätte Paul mit einem Wasserkanister auf dem Buckel sicher unser Tempo nicht durchhalten können. Die Wunde machte ihm immer noch zu schaffen – er sagte kein Wort, aber ich bemerkte, daß er sich auf den heilen Arm stützte, wenn er ausrutschte und zu Boden ging.
Mittagsrast zu machen, hatte wenig Sinn, denn zu essen hatten wir nichts mehr. Wir wollten auch nur trinken. »Okay, Max«, sagte Byrne, »stell deinen Kanister hin.«
Wir hatten bei unserem zweiten Frühstück aus meinem Kanister getrunken, deshalb sagte ich: »Nein, jetzt trinken wir von deinem Wasser.«
Byrne sah mich an, die Falten um seine Augen vertieften sich. Aber dann sagte er doch: »Wie ihr wollt.« So war jetzt endlich auch seine Last, als es weiterging, um ein paar Liter leichter.
An diesem Tag war ich von Herzen froh, daß ich meine Tuareg-Maskerade samt Schleier auf dem Körper hatte. Paul litt – neben allem anderen – auch noch unter irrsinnigem Sonnenbrand; dagegen war ich geschützt. An den Rest des Tages erinnerte ich mich nur als ein ständiges Flimmern vor den Augen, ein Flimmern der Erschöpfung. Manchmal fragte ich mich, ob es auf dieser Welt auch noch etwas anderes gäbe als Dünen – rauf auf der einen Seite, runter auf der anderen, und immer war wieder eine neue Düne vor uns. Dem Land gegen den Strich, wie Byrne es formuliert hatte, gingen wir. Ich begriff erst jetzt so richtig, wie höllisch treffend er das formuliert hatte. Ich verfiel in einen blinden, hirnlosen Rhythmus, ein Gesang entstand in mir, ein Ohrwurm, und der ging mir rund und rund in meinem leeren, ausgebrannten Kopf und wollte nicht verschwinden. Ein verdammter Fuß vor den nächsten verdammten Fuß. Und eine verdammte Düne nach der nächsten verdammten Düne. Und ein verdammter Fuß vor den nächsten verdammten Fuß. Und eine verdammte, verdammte Düne nach der nächsten verdammten Düne. Und ein verdammter Fuß vor den nächsten verdammten Fuß. Und eine verdammte … So ging das rund und rund, so wie es auf und ab ging.
Vielleicht hat es mir geholfen.
Stunde um Stunde ging das so, bis ich in Byrne hineintaumelte, der stehengeblieben war. Da hörte dann auch der eine verdammte Fuß auf, sich vor den anderen verdammten Fuß zu setzen. »Gerade noch rechtzeitig«, hörte ich Byrne sagen. Er sah zur Sonne hin. »In einer Dreiviertelstunde ist es Nacht.«
»Wir sind da?« sagte ich mit dicker Zunge. Ich sah die Düne hinab. Die Senke vor der nächsten Düne sah wie alle anderen aus, die wir durchquert hatten.
»Ja«, sagte Byrne. »Hier kommt Mokhtar vorbei.«
Ich sah mich um. »Wo ist Billson?«
»Vielleicht einen halben Kilometer hinter uns. Konti kümmert sich um ihn. Komm, wir steigen nach unten.«
Am Fuß der Düne drehte ich mich um. Paul und Konti zeichneten sich vor dem Himmel als Silhouetten ab. »Du meinst wirklich, wir können jetzt Rast machen?«
»Nein«, sagte Byrne gnadenlos. Er ging die Senke entlang, und ich schlurfte hinter ihm her. Ich war müde, aber nun ging ich wenigstens über einigermaßen ebenen Boden und brauchte nicht mehr rauf und runter. Die Dünen engten das sandige Tal zu beiden Seiten ein, aber dahinter weitete sich das Tal. Byrne blieb stehen: »Das ist die Stelle. Wie breit ist deiner Schätzung nach das Tal?«
»Vierhundert Meter.«
»Breiter. Sechshundert. Wir müssen hier drei Gräben talaufwärts und talabwärts ziehen, jeder Graben mindestens zehn Meter lang, wenn's geht mehr.«
Das hörte sich nach Arbeit an, und dafür war ich jetzt nicht in der Stimmung. »Wie tief?«
»Nicht sehr. Gerade so, daß du in der Nacht den Graben mit den Füßen wahrnehmen kannst. Diese Nacht müssen wir alle Wache stehen.«
Die Idee war einfach und gut. Die Gräben teilten das Tal in vier gleichgroße Bereiche auf, und jeder von uns hatte dann seinen 150-Meter-Streifen abzupatrouillieren. Wenn wir auf einen Graben stießen, hatten wir eine vorschriftsmäßige Kehrtwendung zu absolvieren – genau wie die Garde vor dem Buckingham-Palast. Und wenn die Karawane durchkam, mußte rein rechnerisch einer von uns mit einem Kamel zusammenstoßen. Und das Auf- und Abmarschieren würde uns auch wach halten, erklärte Byrne.
Byrne zeigte mir die Stelle, wo ich meinen Graben ausheben sollte, aber ehe ich daranging, setzte ich meinen Kanister ab und genehmigte mir einen tüchtigen Schluck Wasser. Ich buddelte mit den Händen, weil ich nichts anderes zum Buddeln hatte, und häufte den Sand seitlich auf. Auch Billson und
Weitere Kostenlose Bücher