Atemlos
halbem Weg einen Hang hinauf rief: »Okay, Jungs. Das wär's. Buddelt euch ein.«
Dankbar ließ ich den Kanister von meinem Rücken gleiten und massierte mir die schmerzenden Schultern. Im Mondschein sah ich Billson auf dem Boden liegen. Ich kroch zu ihm hin und half ihm aus den Tragegurten; ich wickelte die Dschellabah um ihn und baute eine Sandrampe neben ihm auf, damit er im Schlaf nicht die Düne hinabrollte. Ich war kaum damit fertig, da war er eingeschlafen.
Ich schleppte mich über den Sand zu Byrne hin. »Was soll die gottverdammte Schinderei? Paul ist halbtot.«
»Wenn wir morgen abend nicht am Ziel sind, wird er ganz tot sein«, sagte Byrne ungerührt.
»Was heißt das?«
»Nun, eine azelai rastet nicht bei Sonnenuntergang, wie wir's meistens gemacht haben. Mokhtar reitet jeden Abend bis elf. Er hat's natürlich leichter. Die Karawane folgt immer nur den Talsenken.«
»Wie orientiert er sich nachts in der Wüste?«
»Die Sterne«, sagte Byrne. »Und Erfahrung. Ich will versuchen, vor Sonnenuntergang eine Stelle zu erreichen, die er im Laufe des Abends passieren muß. Aber Kamele haben nun mal keine Scheinwerfer und keine Schlußlichter, und eine azelai bewegt sich unheimlich lautlos vorwärts. In der Nacht merkst du nicht einmal, wenn eine Karawane zweihundert Meter entfernt von dir vorbeizieht. Deshalb möchte ich am Ziel sein, solange noch etwas zu sehen ist.«
»Solange was zu sehen ist?«
»Das stelle ich fest, wenn es so weit ist. Und nun leg dich schlafen.«
Ich hatte fast schon abgeschaltet, als mir noch etwas einfiel: »Und wenn wir die Karawane verpassen?«
»Dann müssen wir bis Bilma zu Fuß gehen. Deshalb führen wir so viel Wasser mit. Konti und ich, wir würden es schaffen. Du könntest es mit viel Glück auch schaffen. Aber Billson nie.«
Das war deutlich genug. Ich buddelte mir einen Graben in den Hang und hoffte, daß er nicht zu sehr nach einem Grab aussah, als ich mich hineinlegte. Ich wickelte die Dschellabah enger um mich und sah noch lange zu dem pockennarbigen Mond hoch, bevor ich einschlief. Mindestens drei Minuten lang.
Am Morgen tranken wir das Wasser aus, das Billson noch hatte, damit wir seinen Kanister stehenlassen konnten. »Sauft euch voll«, riet Byrne. »Schlagt so viel Wasser, wie ihr halten könnt, in euch rein.«
Es war noch dämmrig, das Frühstück war frugal und schnell hinuntergeschlungen. Ich pickte die letzten Krumen aus meiner Tasche und schnallte mir den verhaßten Kanister um. Ich war marschbereit.
Da sagte Billson: »Stafford, warum gießen wir nicht die Hälfte von Ihrem Wasser in diesen Kanister?« Er gab dem leeren Kanister einen Tritt, es schepperte. »Den kann ich doch tragen.«
Ich sah ihn überrascht an. Das war das erste Mal, daß er sich anbot, auch einmal etwas für andere zu tun. Vielleicht war er doch nicht für die Menschheit verloren. »Frag lieber Byrne«, sagte ich. »Der hat einen vollen Kanister.«
Byrne trat neben ihn. »Laß mal die Schulter sehen.« Er sah sich die Wunde an und schüttelte den Kopf. »Das schaffst du nicht, Paul. Wenn das noch weiter schürft und wenn da noch mehr Sand reinkommt, kriegst du Wundbrand. Mach dir einen Verband. Und jetzt nichts wie weg.«
Und so machten wir uns wieder auf den Weg. »O Täler weit, o Höhen!« sang ich vor mich hin, oder so etwas Ähnliches, und stellte mir die grünen Hügel von Schottland, Deutschland und der Schweiz vor, und satte Talweiden mit Kühen, und überhaupt Landschaften, wo man Kamele nur im Fernsehen zu sehen kriegt, allenfalls im Zoo. Dann sah ich uns als vier Ameisen, die auf einem Kinderspielplatz durch einen Sandkasten krabbeln, und am Vormittag, als wir eine Trinkpause machten, sagte ich: »Wenn ich mir vorstelle, daß ich mal ganz verrückt darauf war, Sandburgen zu bauen …«
Byrne kicherte. »Da war mal ein Witz in einer Zeitung, die Daisy Wakefield in Tam sich schicken ließ. Eine Kompanie der Fremdenlegion marschiert durch den Wüstensand. Sagt ein Legionär zum anderen: ›Ich bin in die Legion gegangen, weil ich die Liebe meines Lebens vergessen wollte, und nun muß ich ausgerechnet hier in der Wüste immer an sie denken. Sie hieß nämlich Sandra.‹ Damals fand ich das sehr komisch.«
Ich sagte: »Humor ist, wenn man trotzdem – und so weiter.«
Billson machte sich ganz gut. Er sprach nicht viel und hielt – immer ein paar Meter vor Konti – mit uns Schritt. Byrne hatte offenbar Konti als Nachhut eingeteilt, um auf Paul zu achten.
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