Atemlos - Toedliches Erbe
sie nicht brauchen, wenn wir oben ankommen.«
Sie war sich da nicht so sicher. Es war zwar Sommer, aber bis die Sonne endlich aufging, war der Wind schneidend kalt. Sie war jetzt schon völlig durchgefroren, zog die Regenjacke aber trotzdem aus. Der Wind pfiff glatt durch ihre nassen Sachen und ließ ihre Haut um eine Kleidergröße schrumpfen, als sie ihm die Jacke reichte. »Ich bin erfreut zu hören, dass du glaubst, es wird eine Rückfahrt für uns geben.«
Er verstaute beide Jacken sicher unter der Sitzbank des Bootes und hob dann den Rucksack wieder auf. »Lass uns noch ein paar Zweige zusammensuchen, um sicherzugehen, dass das Boot gut versteckt ist. Und dann los.«
Von dem umstehenden Gestrüpp brachen sie ein paar belaubte Äste ab, traten dann einen Schritt zurück und warteten, bis sich der Mond wieder zeigte, um zu sehen, ob noch mehr nötig wären. Als der sich nach ein paar Minuten immer noch zierte und sich weigerte, aus seinem Versteck hervorzukommen, entschieden sie, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Es würde eben reichen müssen.
Die Brise roch nach Meer – salzig und jodhaltig, mit einem leichten Hauch von Lakritz darunter: das in
Rapture
verwendete Mastix. Es wuchs also
tatsächlich
hier. Ihr Herz machte einen kleinen Zwischensprung – eine Mischung aus Furcht und Hochgefühl.
Rand ergriff ihre Hand, gerade als sie sie unter ihre Achseln stecken wollte, um sie aufzuwärmen. Seine Finger schlossen sich warm und kräftig um ihre. »Unmittelbar hinter dieser Anhöhe gibt es ein verlassenes Kloster«, sagte er mit gesenkter Stimme, aber immer noch laut genug, um das Wispern der Wellen auf den glatten Steinen am Strand zu übertönen. »Dort können wir uns trockene Sachen anziehen.«
Der Aufstieg von dem schmalen Streifen steinigen Strandes war steil: achtzehn, zwanzig Meter fast senkrecht in die Höhe. Sechs Stockwerke. Dakota musterte die Anhöhe gerade mit abschätzendem Blick, als der Mond abermals zum Vorschein kam. Gütiger Himmel, das sah echt gefährlich aus. Erst recht bei Dunkelheit.
»Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit … sie zu umgehen?«, schlug sie hoffnungsvoll vor. Einen beschwerlicheren Aufstieg als eine steile Treppe in High Heels hatte sie noch nie bewältigt.
Rand drückte beschwichtigend ihre Finger. »Vertrau mir. Das ist ein Klacks im Vergleich zur Eiger-Nordwand«, zog er sie auf. »Komm jetzt.«
Er zog ganz leicht an ihrer Hand, und sie begaben sich zum Fuß des Felsens. Wirklich
senkrecht
war die Felsklippe nicht. Es gab so etwas wie eine leichte Neigung, und deren Oberfläche war sogar mit Steinen, kleinen Sträuchern und Gräsern bedeckt. »Massenhaft Zeugs zum Festhalten, das schaffst du schon.«
»Freut mich, dass du so großes Vertrauen in meine Fähigkeiten hast«, erwiderte sie trocken. »Aber du weißt schon, dass ich in meinem ganzen Leben noch nirgendwo hochgeklettert bin, oder?« Sie zögerte, um das wankelmütige Mondlicht einzuschätzen. »Ich vermute mal, ich könnte die Taschenlampe zwischen die Zähne nehmen …«
»Auf gar keinen Fall. Wir sind hier draußen ohne jede Deckung. Ich werd dir helfen. Du musst mir nur vertrauen«, versicherte ihr Rand und stopfte sich den Rucksack vorn unter sein T-Shirt. Sie sog den Atem durch die Zähne. Das musste sich auf der Haut doch eiskalt und nass anfühlen. Er zucke nicht mal mit der Wimper.
»Wir werden nebeneinander raufklettern. Greif mit einer Hand hinten in meine Jeans und benutz die andere, um zu packen, was immer du in die Finger kriegst. Halt dich einfach fest. Ich werd dich schon nicht fallen lassen, versprochen.«
»Ich halte das für keine so gute Idee.« Dakota spähte die Wand empor. »Das Extragewicht wird dich zur Seite ziehen.«
»Nein, wird es nicht. Ich bin es gewohnt, einen Hundertkilorucksack zu tragen. Verdammt, einmal haben Gideon Stark und ich Zak den halben Mount Rainier hinuntergeschleppt, als er sich ein Bein gebrochen hatte.«
Immer noch von Zweifeln geplagt, hakte Dakota ihre Finger in den Bund seiner Jeans. Der nasse kalte Stoff seines Hemdes fiel über ihren Unterarm, seine Haut jedoch war warm an ihrer kalten Hand.
Er sah kurzzu ihr hinüber. »Bereit?«
»Und ob. Genau das ist es, was ich vor meinem Ableben unbedingt noch machen wollte.«
Seine Zähne blitzten weiß. »So ists recht. Halt dich fest. Und los gehts.«
Er war ein erfahrener Kletterer ohne die geringste Furcht. Für ihn musste das hier eine lahme Angelegenheit sein, dachte sie, während
Weitere Kostenlose Bücher