Atemlos - Toedliches Erbe
»Enttäusche mich nicht, mein Sohn. Ich würde dich nur ungern bestrafen.«
Nachdem die beiden Männer gegangen waren, war Dakota aufgedreht und gereizt. Sie riss die Vorhänge auf, um das strahlend helle Sonnenlicht hereinzulassen, nahm das Tablett mit den übereinandergestapelten Tellern, stellte es draußen vor die Tür und ging dann zum Tisch zurück, um ihre Karte auszubreiten, damit sie sehen konnte, wo sich Rand befand und wie weit er es noch hatte. Ihr GPS und ihr Handy legte sie daneben, beides eingestöpselt, damit sie aufgeladen blieben.
Dank ihres inneren GPS wusste sie, wo sich Rand aufhielt. Allerdings war es mithilfe der modernen Technik leichter, es sich bildlich vorzustellen. Nachdem sie beim Zimmerservice einen Nachschub an Kaffee bestellt hatte, schaltete sie um auf Leute-Beobachten, legte die Füße hoch und machte es sich in dem Sessel bequem, in dem Rand gesessen hatte, während sie in trauter Einsilbigkeit ihr Frühstück eingenommen hatten. Was nicht überraschend war – immerhin hatten sie zusammen nahezu neun Stunden auf engstem Raum in verschiedenen Fahrzeugen verbracht und dabei kaum ein Wort gesprochen.
Alles in allem – und die Erkenntnis versetzte Dakota unvermittelt einen schmerzhaften Stich – war es kaum anders, als zu der Zeit, wo sie zusammen gewesen waren. Wenn sie damals, als Rand in Los Angeles lebte und arbeitete und sie in Seattle, dann doch einmal zusammenfanden, war miteinander reden so ziemlich das Letzte, was sie interessierte. Nur war ihr Schweigen damals von den leise gemurmelten Lauten der Befriedigung erfüllt gewesen. Die Stille im Auto war dagegen erfüllt gewesen von Reue und stummen Vorwürfen.
»Wo steckst du?«, fragte sie, nachdem sie fast zehn Minuten lang über ihr Bluetooth keinerlei Gespräche mehr empfangen hatte. Sie wollte einfach nur seine Stimme hören. Sie wusste ganz genau, wo er sich befand – sie hatte einen der Socken, die er auf den Badezimmerfußboden geschmissen hatte, in ihre Tasche gestopft.
Vor ihrem inneren Auge sah sie seine Koordinaten gleich unter denen des Pariser Übeltäters und seines Kumpans und markierte zwei Punkte auf der vor ihr liegenden Karte. Zwei Meilen, das schien nicht besonders weit, allerdings drehten und wanden sich die Schächte der alten Minen – es ging dort ständig auf und ab – und führten tief hinab. Bei der Vorstellung, sich sieben Stockwerke unterhalb der Stadt zu befinden, legte sich eine zweite Gänsehaut über die erste.
»Wir nähern uns jetzt dem Eingang an der Avenue du Colonel Henri Rol-Tanguy. Lass uns erst mal einsteigen und leite uns dann.« Seine Stimme klang ruhig – und auf trügerische Weise vertraut. Leises Gemurmel an ihrem Ohr, das würde es nie mehr geben, das wusste sie. Dakota strich sich mit der Hand über das sehnsuchtsvolle Stechen, das sie zwischen ihren Brüsten verspürte, während sie das Touristenzentrum und den Eingang der öffentlichen Führung auf ihrer Karte verortete.
Die Zahlen des Pariser Übeltäters hatten sich noch immer nicht bewegt. »Er hat sich nicht gerührt?« Herrgott. Was, wenn sie sich täuschte? Wenn sie seinen Aufenthaltsort zwar noch sehen konnte, er aber längst tot war?
Rand hatte Dakotas leises Atmen im Ohr, als er Ham über die überaus bedrückende steinerne Wendeltreppe nach unten folgte. »Bist du wach, North?«
»Behalte euer Vorankommen im Blick. Geht nur langsam voran, was?«
Die Beleuchtung – 20-Watt-Birnen – war schummrig, machte aber den Einsatz der kleinen, starken Taschenlampen, die sie dabeihatten, überflüssig. »Jede Menge enger Treppen.«
»Einhundertunddreißig«, klärte Dakota ihn auf. Darin war sie gut, erinnerte er sich. Gut, wenn es um Details ging, außerdem hatte sie es raus, sich Nebensächlichkeiten einzuprägen. Sie war in ihrem Job bei Rydell hervorragend gewesen, hatte sein Vater ihm berichtet – überaus genau, methodisch und ausgestattet mit einem Blick fürs Detail, mit dem sie die anderen Mitglieder des Teams mitunter in den Wahnsinn trieb. Sie hatte ihre Arbeit geliebt. Es ergab überhaupt keinen Sinn, dass sie nicht länger in einem Job arbeitete, in dem sie gut und für den sie bestens qualifiziert war.
Bestimmt gab es jede Menge pharmazeutische Labors im ganzen Land, die jemanden mit Dakotas Fertigkeiten und Ausbildung einstellen würden, und doch hatte sie diese Fachrichtung gemieden, nachdem …
»Mann, dieser verdammte Ort macht mir eine Scheißangst«, murmelte Ham, dessen Schultern praktisch
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