Atevi 1 - Fremdling
bebilderten Bandes über die Burg von Malguri. So erfuhr er unter anderem, daß das Bett, in dem er lag, siebenhundert Jahre alt war. Nach wie vor wurden Touristen durchs Haus geführt, auch in den Trakt, den er zur Zeit bewohnte, aber nur, wenn er leerstand. Bren stellte sich eine Besuchergruppe vor, wie sie durchs Zimmer schlendert, Kinder, die verschüchterte Blicke aufs Bett werfen, während der Führer von jenem Paidhi berichtet, der dort im Bett gestorben sei und jetzt nächtens durch die Hallen spuke auf der Suche nach einer Tasse Tee…
Was er durch das Buch in Erfahrung brachte, war hoch interessant, insbesondere die historischen Abrisse, über die bislang kein Mensch Bescheid wußte. In den Aufzeichnungen seiner Vorgänger waren keine entsprechenden Hinweise zu finden, und so nahm er sich vor, um ein Exemplar der Annalen von Maidingi zu bitten und es der Bibliothek auf Mospheira zur Verfügung zu stellen. Aber womöglich gab es nur dieses eine Exemplar. Nun ja, in dem Fall müßte er daraus exzerpieren, aber dazu brauchte er den Computer, und der ließ sich nirgends anschließen. Er durfte ja keine der verdammten historischen Glühbirnen herausdrehen und die Fassung zu einem Stecker umfunktionieren. Möglich, daß die historischen Leitungen überlastet und das historische Gebälk durch einen Kurzschluß in Brand gesteckt würde.
Solarzellen, dachte er. Vielleicht gab es im Ort solche Zellen zu kaufen, mit Akkus und einer passenden Verbindung für den Computer. Es wäre doch sicherlich möglich, das Geld für den Kauf von seinem Konto auf die hiesige Bank transferieren zu lassen. Banichi würde das bestimmt in die Wege leiten können.
Vorläufig mußten es Papier und Stift tun. Er stand auf und durchstöberte den Schreibtisch im Arbeitszimmer. Papier war zu finden, aber nichts zum Schreiben. Er suchte nach dem Stift, mit dem er sich im Gästebuch eingetragen hatte. Doch der war verschwunden.
Zum Verrücktwerden. Er läutete nach Djinana und verlangte nach einem Stift, und zwar unverzüglich. Der besorgte einen Füllfederhalter aus dem Dienstbotenquartier. Das Ding kratzte und kleckerte, aber immerhin, es schrieb, und so warf sich Bren einen warmen Morgenmantel über, zog ein Paar dicke Socken an und machte Notizen, nicht zuletzt bestimmt für seine Nachfolger.
Der Text fiel reichlich angekränkelt aus. Zum Schluß fügte er hinzu: In der Hoffnung, daß diese Zeilen irgendwann auch mal einem Menschen zu Gesicht kommen. Ich habe eine Pistole unter der Matratze liegen. Wen soll ich damit erschießen? Algini, der seine Hausordnung nirgends anbringen kann? Oder Cenedi, der wahrscheinlich keine Ahnung davon hatte, daß der Tee, so wie er hier getrunken wird, fiir Menschen tödlich sein kann?
Tabini-Aiji hat mich zu meiner Sicherheit nach Malguri geschickt. Bislang war mir die hiesige Küche gefährlicher als irgendein Assassine in Shejidan…
Manches ließ er unerwähnt aus Sorge vor einer möglichen Durchsuchung der Suite, vorgenommen zur eigenen Sicherheit oder aus Neugier seitens des Personals, was auf ein und dasselbe hinauslief. Und erneut ging ihm die merkwürdige Aiji-Großmutter durch den Kopf. Oder was hatte es mit dieser beiläufig hingeworfenen Bemerkung Tabinis auf sich? Wörtlich: »Meine Großmutter hält Hof.«
Natürlich war für Tabini die fast fatale Einladung zum Tee nicht vorhersehbar gewesen. Er mochte seiner Großmutter einiges zutrauen, wohl aber keine vorsätzliche Vergiftung eines Gastes.
Immerhin, aus seiner kurzen Unterhaltung mit ihr hatte Bren deutlich erfahren müssen, daß Ilisidi Menschen nicht gut leiden konnte.
Angenommen – ein von Krankheit geschwächtes Gehirn kam auf die entlegensten Ideen – angenommen, Tabini hatte mit der Evakuierung seines Paidhi gar nicht so sehr dessen Schutz im Sinn gehabt, sondern vielmehr die Möglichkeit, Banichi und Jago nach Malguri zu schleusen, vorbei an Ilisidis Wachen…
Um einen Anschlag auf die Alte auszuüben?
Der Gedanke verursachte neuerliche Kopfschmerzen.
Der Appetit war immer noch nicht zurückgekehrt. Zum Abendessen ließ er sich eine Schale Suppe und Waffeln bringen, die ihm jetzt immerhin schon ein wenig besser schmeckten als am Vortag; ja, er war sogar für einen Nachschlag empfänglich – in diesem fernseh-, telefon- und freundlosen Exil.
Die Mahlzeiten wurden zu einschneidenden Erlebnissen im ansonsten monotonen Tagesablauf. Weil nicht einmal eine Uhr zur Verfügung stand, maß er die Zeit nach den Schritten,
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